Der Verrat: Thriller (German Edition)
Marina, keine Leanne. Er warf die Zeitschrift auf den Tisch, sprang auf und begrüßte mich mit Küsschen auf beide Wangen. Er trug die schäbige Kopie eines Hemds der Boston Red Sox und eine schwarze Cargohose, in der seine schlanken, wohlgeformten Waden zu sehen waren. Er hatte schönere Beine als ich, bemerkte ich ein bisschen verbittert. Ich ließ ihn einen Gin Tonic für mich machen, genau wie sein eigener Drink. »Wo sind sie denn alle?«, fragte ich.
Er strich sich das Haar aus der Stirn und warf mir ein gequältes, jungenhaftes Lächeln zu. »Marina ist bei Scarlett. Sie schauen sich eine romantische Komödie an. Ich als Schwanzträger habe dankend verzichtet. Und Leanne ist, glaube ich, in Spanien.«
»In Spanien? Warum? Was ist passiert?«
»Sie hatten einen größeren Krach. Leanne fand, dass sie mit Scarlett ein ernstes Wort über die Bedeutung der Familie und die Erziehung von Jimmy reden müsse. Scarlett sagte ihr, das sei schon erledigt und dass du das Kind nehmen wirst. Es ging ein bisschen hin und her, dann äußerte Leanne den Vorwurf, dir käme es nur auf das Geld an. Dass du immer nur daran interessiert gewesen seiest, was du an Scarlett verdienen konntest, und dass du nur wegen des Erbes bereit gewesen wärst, das Kind zu nehmen.«
»Autsch. Unverschämte Schlampe. Ich hoffe, Scarlett ist nicht darauf hereingefallen.« Ich war wirklich entrüstet.
Simon lächelte und tätschelte meine Hand. »Keine Sekunde lang. Sie sagte Leanne, sie solle andere Leute nicht nach ihren eigenen beschissenen Motiven beurteilen. Und sie wüsste, dass Leanne vor nichts zurückschrecken würde, um das zu bekommen, was sie wollte, und sie, Scarlett, hätte verdammt gut dafür gesorgt, dass sie Jimmy nicht in die Klauen bekäme. Wenn nämlich irgendjemand Jimmy als Goldesel betrachte, dann wäre es Leanne. Und Leanne solle sich doch nach Spanien verpissen, statt wie ein verdammter Geier hier herumzuhängen.«
»Aha, also keine freundschaftliche Trennung?«
»Überhaupt nicht. Leanne rauschte davon und ging sofort online. Ich habe sie gestern Vormittag nach Stansted gefahren. Sie war immer noch beleidigt und hat mir eingeheizt, weil ich mich nicht für sie eingesetzt habe.« Er sah bekümmert aus. »Als ich ihr sagte, ich sei der Meinung, dass Scarlett die richtige Entscheidung getroffen habe, sah sie aus, als würde sie mich am liebsten erstechen. Sie bedachte auch mich mit ein paar ausgesuchten Schimpfworten. Ich versuchte zu erklären, dass es für meine Karriere eigentlich nicht besonders förderlich sei, mich beurlauben zu lassen, um mich um Scarlett zu kümmern, aber sie ritt weiter darauf herum, dass ich ja nur ein Star-Arzt werden wolle.«
Ich stieß ein bitteres Lachen aus. »Sie hat wirklich keine Ahnung, wie es zugeht in der Welt.«
»Nicht die geringste. Ich würde dafür bezahlen, kein Arzt für Stars zu werden. Scarlett ist die Ausnahme. Die meisten sind egozentrische Unmenschen. Jedenfalls, Leanne hat ihr wahres Gesicht gezeigt. Das Pokertraining, das sind also jetzt nur noch drei.«
Was mir recht war, jetzt, wo ich wusste, was Leanne wirklich von mir hielt. Die Welt hatte sich also auf uns vier verengt, die wie Satelliten um Scarlett kreisten. Jimmy war durcheinander und verstand nicht wirklich, was da lief und warum Mummy die meiste Zeit im Bett verbrachte. Scarlett versuchte jeden Tag, genug Energie für ihn aufzusparen, aber je näher sie dem Tod kam, desto schwerer wurde es. In den letzten Tagen konnte sie nur noch mit ihm kuscheln, während er im Bett mit ihr Cartoons schaute.
Wenn er nicht im Kindergarten war, machte einer von uns etwas mit ihm. Wir tollten im Pool, spielten im Garten Fußball, guckten Videos oder bauten weitläufige Legogebäude, die sich über den Boden seines Zimmers erstreckten. Wenn ich auf diese paar Wochen zurückblicke, empfinde ich Trauer und zugleich Zufriedenheit. Ich glaube, ich habe ihm gutgetan und zugleich eine Brücke in unsere Zukunft gebaut.
Die einzige Unterbrechung unseres routinemäßigen Tagesablaufs kam mit dem Team des Yes! Magazine, das einschließlich Haarstylistin und Visagistin zum letzten Fotoshooting auftauchte. Ich weiß, dass es Leute gab, die das Ganze ziemlich morbid fanden, aber Scarlett wollte, dass die Welt sah, wie eine Frau aussieht, wenn sie an Krebs stirbt. »Wir sperren Kranke weg, damit wir uns der Tatsache, dass wir alle sterben werden, nicht stellen müssen«, sagte sie. »Ich will ihnen zeigen, dass ich nach wie vor ein
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