Der Verrat: Thriller (German Edition)
die Hoffnung nicht aufgeben. Jemand muss sich für Jimmy einsetzen«, sagte er.
Stephanie lächelte. »Du glaubst wirklich, dass du mich so einfach rumkriegst?«, fragte sie. Doch ihre Stimme war sanft. »Du bist leicht zu durchschauen. Ich weiß, warum wir hier sind, aber das heißt nicht, dass ich mir keine Sorgen mache.«
»Ein paar Sorgen, das ist gar nicht schlecht. Das bedeutet, du wirst dich nicht zu Dummheiten hinreißen lassen, zu keinem hirnlosen Sturmangriff.« Nick öffnete die Autotür und streckte sich. Er dehnte die Arme und versuchte, seinen steifen Rücken wieder beweglich zu machen. Auch Stephanie stieg aus, und schweigend bereiteten sie ihre Rucksäcke vor. Schließlich folgten sie dem Verlauf der Straße, immer noch, ohne zu sprechen.
»An der oberen Seite des Wiesengrundstücks geht ein Pfad entlang«, sagte Stephanie. »Ich hab es aus dem Augenwinkel gesehen. Und ich glaube, man kommt über die Brücke dorthin, die zum Waisenhaus führt.«
Und so gingen sie auf der Straße zurück und überquerten die Brücke. In dem bedrohlichen Gebäude hinter der Mauer waren keine Lebenszeichen zu erkennen, keine spielenden Kinder zu hören. Es war jetzt früher Nachmittag, und es überraschte Stephanie, dass alles so ruhig und regungslos erschien.
Bald entdeckten sie den schmalen Pfad, der über die Wiese zur Baumgrenze führte. Er sah genau so aus wie ein Pfad, der Wanderer anziehen würde. Sie hielten kurz inne, während Nick so tat, als studiere er eine Landkarte. »Sobald wir die Bäume erreichen, schauen wir noch mal auf die Karte und tun so, als hätten wir einen Fehler gemacht. Dann gehen wir den Weg zurück, den wir gekommen sind. Doch sobald wir die Kurve erreichen, schlägst du dich in die Büsche und behältst das Waisenhaus im Auge. Ich werde zum Auto zurückgehen und auf dein Kommando zum Losfahren warten.« Er setzte seinen Rucksack ab und nahm ein Fernglas heraus. »Das nimmst du besser an dich.«
Sie überquerten zielstrebig die Wiese und liefen einige hundert Meter an den Bäumen entlang. Plötzlich trug ihnen die Nachmittagsbrise das Schreien und Lachen von Kindern entgegen. Nach einem weiteren Stück kehrten sie um und gingen den Weg zurück. Es gab eine etwa zwanzig Meter breite Lücke in der Mauer, in der die Steine durch einen hohen, von Spitzen bewehrten Gitterzaun ersetzt worden waren. Dahinter erblickten sie Kinder, die mit typischen Kinderspielen beschäftigt waren. Sie spielten Ball, Seilspringen, Fangen oder strichen irgendwo herum. Ein paar Kinder waren eindeutig behindert, doch sie spielten trotzdem mit und machten das Beste aus der Frühlingssonne und ihrer Freiheit. Jimmy war nicht dabei, da war sich Stephanie sicher. Drei Frauen in dunklen Hosen und mit weißen Kitteln, wie man sie von Krankenschwestern kennt, saßen mit übereinandergeschlagenen Beinen auf einer Bank, rauchten und diskutierten lebhaft, die Augen immer auf die Kinder gerichtet. Sie beachteten Nick und Stephanie nicht, die zügig dem Weg zurück zur Straße folgten. »Sieht aus, als hätten die Kinder Spaß«, kommentierte Stephanie. »Scarlett hat etwas Gutes bewirkt. Als sie zum ersten Mal hierherkam, sah es aus wie in den schaurigen Dokumentationen aus der Zeit nach Ceaucescus Sturz. Kinder, die an ihre Betten gekettet waren, Babys, die in ihren Exkrementen lagen, wundgelegene Kinder mit eiternden Wunden. Sieht aus, als hätte sich hier viel verändert.«
»Das ist ein weiterer Grund dafür, dass wir die Sache klären sollten, ohne die Polizei hinzuzuziehen. Ich möchte Scarletts Stiftung nicht in den Schmutz ziehen. Die Ironie des Ganzen wäre ein gefundenes Fressen für die Medien: ›Das Waisenhaus, das die Mutter finanziert hat, wird dazu benutzt, den armen, entführten Jimmy zu verstecken‹«, sagte Nick und markierte mit den Fingern in der Luft die Anführungszeichen.
Sie gingen weiter, und sobald sie um die Kurve waren, stahl sich Stephanie zwischen die Bäume. Nick setzte seinen Weg fort und ließ sie zwischen den schlanken Stämmen der Nadelbäume zurück. Das Problem bei dieser Art von Wald war, dass es kein Unterholz gab, das man zur Deckung nutzen konnte. Unter dem dichten Nadeldach wuchs nichts. Sie schlüpfte zwischen den Bäumen hindurch und näherte sich der Straße, wo Adlerfarn und einige unbekannte Heckenpflanzen sich auf der rauhen Grasfläche entfalteten. Wenn sie sich auf diesem Nadelkissen am Waldrand hinsetzte, dann müsste ihre Tarnung eigentlich recht gut sein. Sie
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