Der Verrat: Thriller (German Edition)
breitete ihre Regenjacke auf dem Boden aus und stellte sich seelisch auf eine sehr lange Observation ein. Es war jetzt kurz vor vier Uhr nachmittags. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wann es dunkel werden würde, doch sie würde durchhalten.
Das war das Mindeste, was sie für Jimmy tun konnte.
6
D ie Sonne war hinter dem bewaldeten Gipfel verschwunden, und mit ihr hatte sich auch die Wärme des Tages verflüchtigt. Nicks Karohemd war für die kühle Abendbrise ungeeignet. Doch wenn Stephanie jetzt die Regenjacke anziehen würde, um sich warm zu halten, dann würde ihr die Bodenfeuchtigkeit bis in die Knochen dringen, und ihr würde bald noch kälter werden als zuvor. Für dieses Dilemma gab es keine befriedigende Lösung, aber das Sinnieren darüber lenkte sie von dem ab, was auf sie zukommen mochte.
Die Eingangstür des Waisenhauses hatte sich mehrfach geöffnet und sie aufgeschreckt, so dass sie schnell das Fernglas an die Augen hob. Zuerst waren ein Mann und eine Frau in der Anstaltsuniform, dunkle Hose und weißes Pflegeroberteil, herausgekommen. Während der Mann auf einen der Wagen zustrebte, rannte die Frau die Einfahrt hinunter, öffnete ein Vorhängeschloss und zog die schweren Eisentore auf. Ihr Begleiter fuhr hindurch und wartete, bis sie die Tore wieder geschlossen und verriegelt hatte. Es war ein umständlicher, langwieriger Vorgang, und Stephanie gefiel sehr, dass es so lange dauerte. Als Nächstes verließ eine grauhaarige Frau in einem rosa durchgeknöpften Anzug das Haus. Sie bestieg einen Motorroller, der hinter einem der Autos versteckt gewesen war, und wiederholte das Geschehen am Tor.
»Komm schon, Simon«, murmelte Stephanie, als der Roller an ihr vorbei den Berg hochknatterte. Um etwas Leben in die Monotonie zu bringen, rief sie Nick an und erzählte ihm von den Leuten, die weggefahren waren. »Es dauert eine ganze Weile, bis man diese Tore geöffnet und wieder geschlossen hat«, berichtete sie ihm. »Wenn er also wirklich herauskommt, dann hast du ein paar Minuten Vorwarnung.«
»Fahren sie alle bergabwärts?«
»Nein, die beiden fuhren runter und die Frau hoch.«
»Okay, dann bleibe ich hier, bis du weißt, welche Richtung er nimmt.«
Mehr gab es nicht zu sagen. Sie hatten keine Lust auf Smalltalk. Stephanie nahm ihre Wachposition wieder ein und schlang dabei die Arme um den Oberkörper, um sich das bisschen Restwärme zu bewahren.
Und dann öffnete sich die Tür erneut. Sogar ohne das Fernglas erkannte sie Simon. Hemd und Röhrenjeans und der unverwechselbare Gang, der von den Cowboystiefeln kam. Fast glaubte sie, das Klappern seiner Stiefelabsätze auf den steinernen Stufen zu hören. Er ließ die Tür hinter sich offen, hielt am Fuß der Treppe kurz inne und drehte sich um, als riefe er nach jemandem.
Als Jimmy durch die Tür gestürmt kam, stockte Stephanie der Atem. Sie hatte nun ein flaues Gefühl im Magen und einen Kloß im Hals. Der Junge holte Simon ein, der ihm durch die Haare wuschelte, genau wie sie es schon so oft getan hatte. Sie gingen Hand in Hand zu einer Mercedes-Limousine und stiegen ein. Am Tor stieg Simon aus, um das Vorhängeschloss zu öffnen. Stephanie hatte sich mittlerweile weit genug erholt, um ihr Handy zu nehmen und Nick anzurufen.
»Da ist Simon«, platzte sie heraus. »Er hat Jimmy bei sich.«
»Himmelherrgott.« Sie hörte, wie der Motor ansprang. »Fahren sie hoch oder runter?«
»Ich weiß es noch nicht, Simon fährt gerade erst durch das Tor. Warte …« Mit wachsender Anspannung beobachtete sie weiter. Simon hielt draußen und brauchte lange, um das Tor zu schließen. Er verhielt sich, als habe er alle Zeit der Welt, und das machte ihre fieberhafte Ungeduld nur noch unerträglicher. Als er den Wagen schließlich wieder in Bewegung setzte, zeigte der Blinker an, dass er nach links wollte. »Runter«, schrie sie fast. »Sie fahren den Hügel hinunter. Komm und hol mich ab.«
Sobald Simons Rücklichter um die erste Kurve verschwanden, war Stephanie auf den Beinen und schob sich durch den schmalen Heckenstreifen auf die Straße. Sie konnte bereits Nicks Scheinwerfer durch die Bäume schimmern sehen. Es wurde jetzt sehr schnell dunkel. Immerhin machte es die Verfolgung einfacher, dass sie Simons Rücklichter vor sich haben würden.
Nicks Auto bog um die Kurve und kam mit einem Ruck neben ihr zum Stehen. Sie sprang auf den Beifahrersitz und war überrascht, als sie bemerkte, wie stark sie keuchte. Nick grinste und legte den Gang ein. Die
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