Der Verrat: Thriller (German Edition)
Toronto aus zurück. Kinderleicht eigentlich.«
»Aber warum? Warum habt ihr es so kompliziert gemacht? Warum hast du nicht von Anfang an Simon als Vormund bestimmt? Oder sogar Marina, wenn sie ohnehin Bescheid wusste?«
Zum ersten Mal erkannte Stephanie für den Bruchteil einer Sekunde etwas Verschlagenes auf Scarletts Gesicht. »Wenn es einer von denen geworden wäre, dann hätte das zu Tratsch geführt. Die Klatschreporter hätten sich darauf gestürzt. Warum bekommt ein rumänisches Kindermädchen das Sorgerecht für Scarlett Higgins’ Sohn und nimmt ihn mit nach Rumänien? Was für ein Leben sollte er dort wohl führen? Oder warum sollte irgendein Arzt das Kind bekommen? War er Scarletts heimlicher Liebhaber? Und warum nimmt er das Kind mit in Draculas Hinterhof?« Sie seufzte. »Fragen über Fragen. Ich will ja nicht gemein sein, Steph, aber du warst die banalste, langweiligste Option. Meine Freundin, meine Ghostwriterin, die Frau, die bei Jimmys Geburt dabei war. Die Frau, die mit uns den Krebs durchgestanden hat. Du bist seine Patentante, und das machte dich offensichtlich zur ersten Wahl.«
»Und ich habe mich wirklich um ihn gekümmert.« Trotzig hob Stephanie das Kinn. »Ich hätte mich nicht besser um ihn kümmern können, wenn er mein eigener Sohn gewesen wäre. Möchtest du die Wahrheit wissen, Scarlett? Es fühlt sich an, als wäre er wirklich mein Sohn. Und das noch nie so sehr wie in dieser letzten Woche, nachdem du ihn mir weggenommen hast.«
Scarlett nickte anerkennend. »Das höre ich gern. Aber jetzt brauche ich ihn hier bei mir. Es tut mir leid. Als ich dich damals bat, ihn zu nehmen, hatte ich das nicht für einen begrenzten Zeitraum gedacht. Ich war überzeugt davon, dass ich ihn loslassen könnte. Ich hab mir gesagt, dass er ohne mich besser dran wäre, nur mit dir.« Jetzt war sie ganz ernst. Es lag echte emotionale Tiefe in dem, was sie sagte. Ganz anders als vorher, als sie noch so nonchalant über Mord geredet hatte.
»Was hat deine Meinung geändert?«
Scarlett drehte den Stiel ihres Glases zwischen den Fingern und ließ die Luftbläschen im Prosecco tanzen. Draußen hatte es angefangen zu regnen, und der aufkommende Wind ließ die Regentropfen an die Fenster prasseln. Stephanie fühlte sich wie auf einem Filmset. Es war schwer zu glauben, dass sie diese verstörende Szene wirklich erlebte. Gleich würde Nick zusammen mit Simon und Jimmy zur Tür hereinplatzen und ihr sagen, dass sie einem grotesken Schabernack zum Opfer gefallen war.
»Was meine Meinung geändert hat?« Sie seufzte. »Simon und ich hatten gedacht, dass wir zusammen Kinder haben würden. Jimmy aufzugeben – das habe ich mit mir selber ausgemacht, auf der Basis, dass ich irgendwann wieder schwanger werde. Aber nachdem wir ein paar Monate hier waren und nichts passierte, machte Simon ein paar Tests. Es stellte sich heraus, dass die Chemotherapie mich unfruchtbar gemacht hat. Es besteht eine größere Chance, dass ich zum Mond fliege, als dass ich noch ein Kind bekomme.«
»Und deshalb wolltest du Jimmy zurück. Du konntest keinen Ersatz für ihn schaffen, also hast du beschlossen, ihn einfach wieder an dich zu reißen.«
Scarlett verschränkte die Arme über der Brust. »Er gehört ja schließlich auch mir, Steph, und nicht dir.«
»Nein, er gehört mir nicht. Aber dir gehört er auch nicht. Er ist kein Besitz. Er ist ein kleiner Junge, und wir sind beide verpflichtet, uns um ihn zu kümmern. Wir sollten beide so viel Anstand und Ehrlichkeit an den Tag legen, zuerst an sein Interesse zu denken. Was am besten für Jimmy ist, das sollte getan werden.«
Scarletts altes Lächeln war zurück. Das schiefe und charmante Lächeln, das auch bei ihrem Gegenüber stets ein Lächeln hervorrief, wer immer das sein mochte. Diesmal wirkte die Magie jedoch nicht. »Und so wird es von jetzt an auch sein. Es war mein Fehler, dass ich ihn aus meiner Welt verschwinden ließ. Jetzt habe ich das rückgängig gemacht. Er wird bei mir bleiben, Steph. Du musst das einfach akzeptieren.«
Die eiskalte Bestimmtheit in Scarletts Stimme verursachte Stephanie Gänsehaut. In ihrem direkten Blick lag eine unausgesprochene Drohung. Diese Frau hatte zwei gefühllose, berechnende Morde geplant, um zu bekommen, was sie wollte. In ihren Worten lag die Drohung, dass sie mit Stephanie ähnlich verfahren würde, wenn sie sich nicht trennen konnte von einem Jungen, der nicht ihr Sohn war. Niemand musste erfahren, was sich hier abgespielt
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