Der Verrat: Thriller (German Edition)
hatte.
Außer Nick natürlich. Der ehrliche, leidenschaftliche, unbequeme Nick.
Wie um ihre unausgesprochene Drohung zu verstärken, fügte Scarlett noch beiläufig hinzu: »Ihr werdet über Nacht bleiben müssen. Die Straßen hier sind schrecklich. Sogar die Einheimischen kommen in den Kurven regelmäßig von der Fahrbahn ab und stürzen in den Tod. Du und Nick, ihr würdet euer Leben riskieren, wenn ihr in der Dunkelheit mitten in einem Sturm losfahrt.«
Es war, als wären sie in einem Märchen der Brüder Grimm gefangen, dachte Stephanie. Und die meisten hatten, wenn sie sich recht erinnerte, kein glückliches Ende. Würden sie bis zum nächsten Morgen überleben, wenn sie über Nacht blieben? Würde man ihr Essen vergiften? Ihnen in der Nacht die Kehlen durchschneiden und ihre Leichen an die Wildtiere im Wald verfüttern? Sie war sicher, dass es hier Wölfe geben musste oder zumindest Wildschweine. Jeder weiß, dass Schweine alles fressen, was sie kriegen können. Waren Wildschweine da anders?
Oder würde man sie mit Drogen vollpumpen, ins Auto setzen und einen Hang hinunterschieben, damit sie in den sicheren Tod stürzten? So eine schreckliche Tragödie, und alles ergab sich aus dem unaufschiebbaren Wunsch, mit diesem netten Kindermädchen und dem hilfsbereiten Arzt zu sprechen, die dem auf so mysteriöse Weise entführten Jungen am nächsten waren. Simon hatte auf sie immer so überzeugend gewirkt; sicher würde er mit der einheimischen Polizei, die verständlicherweise dem Waisenhaus und seinen Wohltätern wohlgesinnt wäre, keine Probleme haben.
Bis jetzt hatte Scarlett immer alles Nötige getan, um ihre Ziele zu erreichen. Sie handelte rücksichtslos, ohne lange zu überlegen. Die einzige Möglichkeit, die Situation hier zu überleben, war wahrscheinlich, sie im Glauben zu lassen, dass ihr Plan funktionierte.
Stephanie senkte den Blick. »Okay«, sagte sie und hoffte wie jemand zu klingen, der aufgegeben hatte. »Wir werden morgen früh zurückfahren.«
»Glaubst du, du kannst Nick den Griechen dazu bringen, hinsichtlich Jimmys den Mund zu halten? Die anderen Sachen brauchen wir ihm ja ohnehin nicht zu erzählen.«
Als ob er nicht schlau genug wäre, sich das selber zusammenzureimen. Stephanie brachte ein listiges Lächeln zustande. »Er wird mir bei allem zustimmen, was ich sage. Das ist ja hier keine offizielle Untersuchung oder so was. Er hat hier keine Befugnisse.«
Scarlett schien zu akzeptieren, was Stephanie gesagt hatte, doch Stephanie nahm ein weiteres eiskaltes Aufblitzen ihrer Augen wahr. Scarlett wahrte vorerst den Frieden, das war alles. Sie und Nick waren hier nicht sicher. Ganz im Gegenteil. Sie waren in derselben Situation wie Damokles, der beim Abendessen saß und darauf wartete, dass das Haar riss und er von dem Schwert über seinem Kopf getötet würde. Dass man sie früher oder später umbringen würde, war hier das einzig Sichere.
Mit all dem, was sie nun wusste, konnte Scarlett sie auf keinen Fall lebend von hier weggehen lassen.
10
D ann ist das also abgemacht.« Scarlett füllte beide Gläser wieder nach. Dieses Mal stieß Stephanie feierlich mit ihr an. »Du hast keine Ahnung, wie sehr ich dich vermisst habe, Steph. Das Gute daran, dass ich jetzt nichts mehr vor dir zu verbergen habe, ist, dass du mich in Zukunft besuchen kommen kannst. Es gibt sogar ein kleines Nebengebäude mit Holzofen am Waldrand. Du könntest hierherkommen, um zu schreiben, wenn du möchtest.« Ihr fröhlicher Gesichtsausdruck unterschied sich in nichts von dem, den Stephanie all die Jahre gekannt hatte.
»Das wäre toll.« Es war eine absolut bizarre Situation, dachte sie und versuchte nun verzweifelt, sich einen Plan auszudenken, der ihr und Nicks Überleben garantierte und Sicherheit für Jimmy bedeutete. Alles, was ihr in den Sinn kam, taugte nicht. Ob sie nun mit oder ohne ihn flüchteten, sie würden sich nie wieder sicher fühlen können. Scarlett war listig, klug und rücksichtslos, und Simon schien ihrem Narzissmus voll und ganz verfallen zu sein. Stephanie und Nick würden nie den Tag oder die Stunde kennen. Sicher war nur, dass ihr Wissen in Scarletts Augen ein Todesurteil bedeutete.
Aber Stephanie hatte es durchaus ernst gemeint, als sie gesagt hatte, Jimmy sei ihre Hauptsorge. Es galt unter allen Umständen sicherzustellen, dass das Kind nicht in einem Zuhause aufwuchs, in dem Mord ganz oben auf der Liste für Problemlösungen stand. Sie mussten Jimmy von hier wegbringen. Würde sie
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