Der Verschollene
irgendwohin kam, darüber nach, was hier verbessert werden könne und welche Freude es sein müßte, sofort einzugreifen, ohne Rücksicht auf die vielleicht endlose Arbeit die es verursachen würde. Hier aber wußte er nicht, was zu tun wäre. Langsam nahm er das Tuch von Brunelda ab. Willkommen Fräulein", sagte der Verwalter geziert, es war kein Zweifel, daß Brunelda einen guten Eindruck auf ihn machte. Sobald Brunelda dies merkte, verstand sie das, wie Karl befriedigt sah, gleich auszunützen. Alle Angst der letzten Stunden verschwand. Sie
(2)
Karl sah an einer Straßenecke …
Karl sah an einer Straßenecke ein Plakat mit folgender Aufschrif: „Auf dem Rennplatz in Clayton wird heute von sechs Uhr früh bis Mitternacht Personal für das Teater in Oklahama aufgenommen! Das große Teater von Oklahama ruf Euch! Es ruf nur heute, nur einmal! Wer jetzt die Gelegenheit versäumt, versäumt sie für im- mer! Wer an seine Zukunf denkt, gehört zu uns! Jeder ist willkommen! Wer Künstler werden will melde sich! Wir sind das Teater, das jeden brauchen kann, jeden an seinem Ort! Wer sich für uns entschieden hat, den be- glückwünschen wir gleich hier! Aber beeilt Euch, damit Ihr bis Mitternacht vorgelassen werdet! Um zwölf wird alles geschlossen und nicht mehr geöffnet! Verflucht sei wer uns nicht glaubt! Auf nach Clayton!"
Es standen zwar viele Leute vor dem Plakat, aber es schien nicht viel Beifall zu finden. Es gab soviel Plakate, Plakaten glaubte niemand mehr. Und dieses Plakat war noch unwahrscheinlicher als Plakate sonst zu sein pfle- gen. Vor allem aber hatte es einen großen Fehler, es stand kein Wort von der Bezahlung darin. Wäre sie auch nur ein wenig erwähnenswert gewesen, das Plakat hätte sie gewiß genannt; es hätte das Verlockendste nicht vergessen. Künstlerwerden wollte niemand, wohl aber wollte jeder für seine Arbeit bezahlt werden.
Für Karl stand aber doch in dem Plakat eine große Verlockung. „Jeder war willkommen", hieß es. Jeder, also auch Karl. Alles was er bisher getan hatte, war ver- gessen, niemand wollte ihm daraus einen Vorwurf ma- chen. Er durfe sich zu einer Arbeit melden, die keine Schande war, zu der man vielmehr öffentlich einladen konnte! Und ebenso öffentlich wurde das Versprechen gegeben, daß man auch ihn annehmen würde. Er ver- langte nichts besseres, er wollte endlich den Anfang ei- ner anständigen Laufahn finden und hier zeigte er sich vielleicht. Mochte alles Großsprecherische, was auf dem Plakate stand, eine Lüge sein, mochte das große Teater von Oklahama ein kleiner Wandercirkus sein, es wollte Leute aufnehmen, das war genügend. Karl las das Plakat nicht zum zweitenmale, suchte aber noch einmal den Satz: „Jeder ist willkommen" hervor.
Zuerst dachte er daran zufuß nach Clayton zu gehn, aber das wären drei Stunden angestrengten Marsches ge- wesen, und er wäre dann möglicherweise gerade zu- rechtgekommen, um zu erfahren, daß man schon alle verfügbaren Stellen besetzt hätte. Nach dem Plakat war allerdings die Zahl der Aufzunehmenden unbegrenzt, aber so waren immer alle derartigen Stellenangebote abgefaßt. Karl sah ein, daß er entweder auf die Stelle verzichten oder fahren mußte. Er überrechnete sein Geld, es hätte ohne diese Fahrt für acht Tage gereicht, er schob die kleinen Münzen auf der flachen Hand hin und her. Ein Herr der ihn beobachtet hatte, klopfe ihm auf die Schulter und sagte: „Viel Glück zur Fahrt nach Clayton." Karl nickte stumm und rechnete weiter. Aber er entschloß sich bald, teilte das für die Fahrt notwendi- ge Geld ab und lief zur Untergrundbahn.
Als er in Clayton ausstieg, hörte er gleich den Lärm vieler Trompeten. Es war ein wirrer Lärm, die Trompe- ten waren nicht gegeneinander abgestimmt, es wurde rücksichtslos geblasen. Aber das störte Karl nicht, es bestätigte ihm vielmehr daß das Teater von Oklahama ein großes Unternehmen war. Aber als er aus dem Sta- tionsgebäude trat und die ganze Anlage vor sich über- blickte, sah er, daß alles noch größer war, als er nur irgendwie hatte denken können, und er begriff nicht wie ein Unternehmen nur zu dem Zweck um Personal zu erhalten derartige Aufwendungen machen konnte. Vor dem Eingang zum Rennplatz war ein langes niedriges Podium aufgebaut, auf dem hunderte Frauen als Engel gekleidet in weißen Tüchern mit großen Flügeln am Rücken auf langen goldglänzenden Trompeten bliesen. Sie waren aber nicht unmittelbar auf dem Podium, son-
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