Der Verschollene
waren wieder die bekannten Ein- mischungen der Polizei. „Na, glückliche Reise", sagte der Polizeimann, als er keine Antwort bekam. In den Worten des Polizeimanns lag wahrscheinlich Verach- tung, dafür fuhr auch Karl ohne Gruß weiter, Verach- tung der Polizei war besser als ihre Aufmerksamkeit.
Kurz darauf hatte er eine womöglich noch unangeneh- mere Begegnung. Es machte sich nämlich an ihn ein Mann heran, der einen Wagen mit großen Milchkannen vor sich herschob und äußerst gern erfahren hätte, was unter dem grauen Tuch auf Karls Wagen lag. Es war nicht anzunehmen, daß er den gleichen Weg wie Karl hatte, dennoch aber blieb er ihm zur Seite, so überra- schende Wendungen Karl auch machte. Zuerst begnügte er sich mit Ausrufen, wie z. B. „Du mußt eine schwere Last haben" oder „Du hast schlecht aufgeladen, oben wird etwas herausfallen." Später aber fragte er geradezu: Was hast Du denn unter dem Tuch?" Karl sagte: „Was kümmert's Dich?" Aber da das den Mann noch neugie- riger machte, sagte Karl schließlich: „Es sind Äpfel." So viel Äpfel", sagte der Mann staunend und hörte nicht auf, diesen Ausruf zu wiederholen. „Das ist ja eine ganze Ernte", sagte er dann. „Nun ja", sagte Karl. Aber sei es daß er Karl nicht glaubte, sei es daß er ihn ärgern wollte, er gieng noch weiter, begann – alles während der Fahrt – die Hand wie zum Scherz nach dem Tuch auszu- strecken und wagte es endlich sogar an dem Tuch zu zupfen. Was mußte Brunelda leiden! Aus Rücksicht auf sie wollte sich Karl in keinen Streit mit dem Mann ein- lassen und fuhr in das nächste offene Tor ein, als sei dies sein Ziel gewesen. „Hier bin ich zuhause", sagte er, Dank für die Begleitung." Der Mann blieb erstaunt vor dem Tor stehn und sah Karl nach, der ruhig darangieng wenn es sein mußte den ganzen ersten Hof zu durchque- ren. Der Mann konnte nicht mehr zweifeln, aber um seiner Bosheit ein letztes Mal zu genügen, ließ er seinen Wagen stehn, lief Karl auf den Fußspitzen nach und riß so stark an dem Tuch, daß er Bruneldas Gesicht fast entblößt hätte. „Damit Deine Äpfel Luf bekommen", sagte er und lief zurück. Auch das nahm Karl noch hin, da es ihn endgültig von dem Mann befreite. Er führte dann den Wagen in einen Hofwinkel, wo einige große leere Kisten standen in deren Schutz er unter dem Tuch Brunelda einige beruhigende Worte sagen wollte. Aber er mußte lange auf sie einreden, denn sie war ganz in Tränen und flehte ihn allen Ernstes an, hier hinter den Kisten den ganzen Tag zu bleiben und erst in der Nacht weiterzufahren. Vielleicht hätte er allein sie gar nicht davon überzeugen können, wie verfehlt das gewesen wä- re, als aber jemand am andern Ende des Kistenhaufens eine leere Kiste unter ungeheuerem im leeren Hof wie- derhallenden Lärm zu Boden warf, erschrak sie so, daß sie ohne ein Wort mehr zu wagen, das Tuch über sich zog und wahrscheinlich glückselig war, als Karl kurz entschlossen sofort zu fahren begann.
Die Straßen wurden jetzt zwar immer belebter, aber die Aufmerksamkeit, die der Wagen erregte, war nicht so groß wie Karl befürchtet hatte. Vielleicht wäre es über- haupt klüger gewesen, eine andere Zeit für den Trans- port zu wählen. Wenn eine solche Fahrt wieder nötig werden sollte, wollte sich Karl getrauen sie in der Mit- tagstunde auszuführen. Ohne schwerer belästigt worden zu sein, bog er endlich in die schmale dunkle Gasse ein, in der das Unternehmen Nr. 25 sich befand. Vor der Tür stand der schielende Verwalter mit der Uhr in der Hand. „Bist Du immer so unpünktlich?" fragte er. „Es gab verschiedene Hindernisse", sagte Karl. „Die gibt es be- kanntlich immer", sagte der Verwalter. „Hier im Haus gelten sie aber nicht. Merk Dir das!" Auf solche Reden hörte Karl kaum mehr hin, jeder nützte seine Macht aus und beschimpfe den Niedrigen. War man einmal daran gewöhnt, klang es nicht anders als das regelmäßige Uhrenschlagen. Wohl aber erschreckte ihn, als er jetzt den Wagen in den Flur schob, der Schmutz, der hier herrsch- te und den er allerdings erwartet hatte. Es war, wenn man näher zusah, kein faßbarer Schmutz. Der Steinbo- den des Flurs war fast rein gekehrt, die Malerei der Wän- de nicht alt, die künstlichen Palmen nur wenig verstaubt, und doch war alles fettig und abstoßend, es war, als wäre von allem ein schlechter Gebrauch gemacht worden und als wäre keine Reinlichkeit mehr imstande, das wieder gut zu machen. Karl dachte gern, wenn er
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