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Der Verschollene

Der Verschollene

Titel: Der Verschollene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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ein ganz loses Kleid, diesmal aber von blaßrosa Farbe, es war vielleicht ein wenig kürzer als das gestrige, wenigstens sah man die weißen grob gestrickten Strümpfe fast bis zum Knie. Ungeduldig über die lange Dauer des Kämmens, fuhr Brunelda mit der dicken roten Zunge zwischen den Lippen hin und her, manchmal riß sie sich sogar mit dem Ausruf „Aber Delamarche!" gänzlich von Delamarche los, der mit er- hobenem Kamm ruhig wartete, bis sie den Kopf wieder zurücklegte.
    „Es hat lange gedauert", sagte Brunelda im allgemei- nen und zu Karl insbesondere sagte sie: „Du mußt ein wenig flinker sein, wenn Du willst, daß man mit Dir zufrieden ist. An dem faulen und gefräßigen Robinson darfst Du Dir kein Beispiel nehmen. Ihr habt wohl schon inzwischen irgendwo gefrühstückt, ich sage Euch, nächstens dulde ich das nicht."
    Das war sehr ungerecht und Robinson schüttelte auch den Kopf und bewegte, allerdings lautlos, die Lippen, Karl jedoch sah ein, daß man auf die Herrschaf nur dadurch einwirken könne, daß man ihr zweifellose Ar- beit zeige. Er zog daher ein niedriges japanisches Tisch- chen aus einem Winkel, überdeckte es mit einem Tuch und stellte die mitgebrachten Sachen auf. Wer den Ur- sprung des Frühstücks gesehen hatte, konnte mit dem Ganzen zufrieden sein, sonst aber war, wie sich Karl sagen mußte, manches daran auszusetzen.
    Glücklicherweise hatte Brunelda Hunger. Wohlgefäl- lig nickte sie Karl zu, während er alles vorbereitete und öfers hinderte sie ihn, indem sie vorzeitig mit ihrer wei- chen fetten womöglich gleich alles zerdrückenden Hand irgendeinen Bissen für sich hervorholte. „Er hat es gut gemacht", sagte sie schmatzend und zog Delamarche, der den Kamm in ihrem Haar für die spätere Arbeit stecken ließ, neben sich auf einen Sessel nieder. Auch Delamarche wurde im Anblick des Essens freundlich, beide waren sehr hungrig, ihre Hände eilten kreuz und quer über das Tischchen. Karl erkannte, daß man hier um zu befriedigen nur immer möglichst viel bringen mußte und in Erinnerung daran, daß er in der Küche noch verschiedene brauchbare Eßware auf dem Boden liegen gelassen hatte, sagte er: „Zum erstenmal habe ich nicht gewußt, wie alles eingerichtet werden soll, näch- stes Mal werde ich es besser machen." Aber noch wäh- rend des Redens erinnerte er sich, zu wem er sprach, er war zusehr von der Sache selbst befangen gewesen. Bru- nelda nickte Delamarche befriedigt zu und reichte Karl zum Lohn eine Handvoll Keks.

Fragmente

    ()

    Ausreise Bruneldas

    Eines Morgens schob Karl den Krankenwagen, in dem Brunelda saß, aus dem Haustor. Es war nicht mehr so früh, wie er gehof hatte. Sie waren übereingekommen, die Auswanderung noch in der Nacht zu bewerkstelli- gen, um in den Gassen kein Aufsehen zu erregen, das bei Tag unvermeidlich gewesen wäre, so bescheiden auch Brunelda mit einem großen grauen Tuch sich bedecken wollte. Aber der Transport über die Treppe hatte zu lange gedauert, trotz der bereitwilligsten Mithilfe des Studenten, der viel schwächer als Karl war, wie sich bei dieser Gelegenheit herausstellte. Brunelda hielt sich sehr tapfer, seufzte kaum und suchte ihren Trägern die Arbeit auf alle Weise zu erleichtern. Aber es gieng doch nicht anders, als daß man sie auf jeder fünfen Treppenstufe niedersetzte, um sich selbst und ihr die Zeit zum not- wendigsten Ausruhen zu gönnen. Es war ein kühler Morgen, auf den Gängen wehte kalte Luf wie in Kel- lern, aber Karl und der Student waren ganz in Schweiß und mußten während der Ruhepausen jeder ein Zipfel von Bruneldas Tuch, das sie ihnen übrigens freundlich reichte, nehmen, um das Gesicht zu trocknen. So kam es, daß sie erst nach zwei Stunden unten anlangten, wo schon vom Abend her das Wägelchen stand. Das Hin- einheben Bruneldas gab noch eine gewisse Arbeit, dann aber durfe man das Ganze für gelungen ansehn, denn das Schieben des Wagens mußte dank den hohen Rädern nicht schwer sein und es blieb nur die Befürchtung, daß der Wagen unter Brunelda aus den Fugen gehen würde. Diese Gefahr mußte man allerdings auf sich nehmen, man konnte nicht einen Ersatzwagen mitführen, zu des- sen Bereitstellung und Führung der Student halb im Scherz sich angeboten hatte. Es erfolgte nun die Verab- schiedung vom Studenten, die sogar sehr herzlich war. Alle Nichtübereinstimmung zwischen Brunelda und dem Studenten schien vergessen, er entschuldigte sich sogar wegen der alten Beleidigung Bruneldas die er sich bei ihrer

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