Der Verschollene
Mechanismus kennen", sagte sich Karl.
„Also was wollen Sie denn?" fragte sie und beugte sich dienstbereit zu ihm herab. Sie war sehr dick, ihr Leib schaukelte sich, aber ihr Gesicht hatte eine, natür- lich im Verhältnis, fast zarte Bildung. Karl war versucht im Anblick der vielen Eßwaren, die hier sorgfältig in Regalen und auf Tischen aufgeschichtet lagen, für seine Bestellung rasch ein feineres Nachtessen auszudenken, besonders da er erwarten konnte von dieser einflußrei- chen Frau billig bedient zu werden, schließlich aber nannte er doch wieder, da ihm nichts passendes einfiel, nur Speck, Brot und Bier. „Nichts weiter?" fragte die Frau. „Nein danke", sagte Karl, „aber für drei Perso- nen." Auf die Frage der Frau nach den zwei andern, erzählte Karl in paar kurzen Worten von seinen Kamera- den, es machte ihm Freude, ein wenig ausgefragt zu werden.
„Aber das ist ja ein Essen für Sträflinge", sagte die Frau und erwartete nun offenbar weitere Wünsche Karls. Dieser aber fürchtete nun, sie werde ihn beschen- ken und kein Geld annehmen wollen und schwieg des- halb. „Das werden wir gleich zusammengestellt haben", sagte die Frau, gieng mit einer bei ihrer Dicke bewunde- rungswerten Beweglichkeit zu einem Tisch hin, schnitt mit einem langen dünnen, sägeblattartigen Messer ein großes Stück mit viel Fleisch durchwachsenen Specks ab, nahm aus einem Regal ein Laib Brot, hob vom Bo- den drei Flaschen Bier auf und legte alles in einen leich- ten Strohkorb, den sie Karl reichte. Zwischendurch er- klärte sie Karl, sie habe ihn deshalb hierhergeführt, weil die Eßwaren draußen im Buffet im Rauch und in den vielen Ausdünstungen trotz des schnellen Verbrauches immer die Frische verlieren. Für die Leute draußen sei aber alles gut genug. Karl sagte nun gar nichts mehr, denn er wußte nicht, wodurch er diese auszeichnende Behandlung verdiene. Er dachte an seine Kameraden, die vielleicht, so gute Kenner Amerikas sie auch waren, doch nicht bis in diese Vorratskammern gedrungen wä- ren und sich mit den verdorbenen Eßwaren auf dem Buffet hätten begnügen müssen. Man hörte hier keinen Laut aus dem Saal, die Mauern mußten sehr dick sein, um diese Gewölbe genügend kühl zu erhalten. Karl hat- te schon den Strohkorb ein Weilchen lang in der Hand, dachte aber nicht an Zahlen und rührte sich auch nicht. Nur als die Frau noch nachträglich eine Flasche, ähnlich denen, die draußen auf den Tischen standen, in den Korb legen wollte, dankte er schaudernd.
„Haben Sie noch einen weiten Marsch?" fragte die Frau. „Bis nach Butterford", antwortete Karl. „Das ist noch sehr weit", sagte die Frau. „Noch eine Tagereise", sagte Karl. „Nicht weiter?" fragte die Frau. „Oh nein", sagte Karl.
Die Frau rückte einige Sachen auf den Tischen zu- recht, ein Kellner kam herein, schaute suchend herum, wurde dann von der Frau auf eine große Schüssel hinge- wiesen in der ein breiter mit ein wenig Petersilie bestreu- ter Haufen von Sardinen lag, und trug dann diese Schüs- sel in den erhobenen Händen in den Saal hinaus. „Warum wollen Sie denn eigentlich im Freien über- nachten?" fragte die Frau. „Wir haben hier genug Platz. Schlafen Sie bei uns im Hotel." Das war für Karl sehr verlockend besonders da er die vorige Nacht so schlecht verbracht hatte. „Ich habe mein Gepäck draußen", sagte er zögernd und nicht ganz ohne Eitelkeit. „Das bringen Sie nur her", sagte die Frau, „das ist kein Hindernis." „Aber meine Kameraden!" sagte Karl und merkte so- fort, daß die allerdings ein Hindernis waren. „Die dür- fen natürlich auch hier übernachten", sagte die Frau. „Kommen Sie nur! Lassen Sie sich nicht so bitten." „Meine Kameraden sind im übrigen brave Leute", sagte Karl, „aber sie sind nicht rein." „Haben Sie denn den Schmutz im Saal nicht gesehn?" fragte die Frau und ver- zog das Gesicht. „Zu uns kann wirklich der Ärgste kommen. Ich werde also gleich drei Betten vorbereiten lassen. Allerdings nur auf dem Dachboden, denn das Hotel ist vollbesetzt, ich bin auch auf den Dachboden übersiedelt, aber besser als im Freien ist es jedenfalls." „Ich kann meine Kameraden nicht mitbringen", sagte Karl. Er stellte sich vor, was für einen Lärm die zwei auf den Gängen dieses feinen Hotels machen würden, und Robinson würde alles verunreinigen und Delamarche unfehlbar selbst diese Frau belästigen. „Ich weiß nicht warum das unmöglich sein soll", sagte die Frau, „aber wenn Sie es so
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