Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Verschollene

Der Verschollene

Titel: Der Verschollene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
Vom Netzwerk:
auf beiden Straßen- seiten habe ich schon abgesucht. Die Frau Oberköchin läßt Ihnen nämlich sagen, daß sie den Strohkorb, den sie Ihnen geborgt hat dringend braucht." „Hier ist er", sag- te Karl mit einer vor Aufregung unsichern Stimme. Delamarche und Robinson waren in scheinbarer Be- scheidenheit beiseite getreten, wie sie es vor fremden gutgestellten Leuten immer machten. Der Kellner nahm den Korb an sich und sagte: „Dann läßt Sie die Frau Oberköchin fragen, ob Sie es sich nicht überlegt haben und doch vielleicht im Hotel übernachten wollten. Auch die beiden andern Herren wären willkommen, wenn Sie sie mitnehmen wollen. Die Betten sind schon vorberei- tet. Die Nacht ist ja heute warm, aber hier auf der Lehne ist es durchaus nicht ungefährlich zu schlafen, man fin- det öfers Schlangen." „Da die Frau Oberköchin so freundlich ist, werde ich ihre Einladung doch anneh- men", sagte Karl und wartete auf eine Äußerung seiner Kameraden. Aber Robinson stand stumpf da und Dela- marche hatte die Hände in den Hosentaschen und schaute zu den Sternen hinauf. Beide bauten offenbar darauf, daß Karl sie ohne weiters mitnehmen werde. Für diesen Fall", sagte der Kellner, „habe ich den Auf- trag, Sie ins Hotel zu führen und Ihr Gepäck zu tragen." Dann warten Sie bitte noch einen Augenblick", sagte Karl und bückte sich um die paar Sachen, die noch her- umlagen, in den Koffer zu legen.
    Plötzlich richtete er sich auf. Die Photographie fehlte, sie hatte ganz oben im Koffer gelegen und war nirgends zu finden. Alles war vollständig, nur die Photographie fehlte. „Ich kann die Photographie nicht finden", sagte er bittend zu Delamarche. „Was für eine Photogra- phie?" fragte dieser. „Die Photographie meiner Eltern", sagte Karl. „Wir haben keine Photographie gesehn", sagte Delamarche. „Es war keine Photographie drin, Herr Roßmann", bestätigte auch Robinson von seiner Seite. „Aber das ist doch unmöglich", sagte Karl und seine Hilfe suchenden Blicke zogen den Kellner näher. „Sie lag obenauf und jetzt ist sie weg. Wenn Sie doch lieber den Spaß mit dem Koffer nicht gemacht hätten." „Jeder Irrtum ist ausgeschlossen", sagte Delamarche, „in dem Koffer war keine Photographie." „Sie war mir wichtiger, als alles was ich sonst im Koffer habe", sagte Karl zum Kellner, der herumgieng und im Grase suchte. „Sie ist nämlich unersetzlich, ich bekomme keine zwei- te." Und als der Kellner von dem aussichtslosen Suchen abließ, sagte er noch: „Es war das einzige Bild, das ich von meinen Eltern besaß." Daraufin sagte der Kellner laut ohne jede Beschönigung: „Vielleicht könnten wir noch die Taschen der Herren untersuchen." „Ja", sagte Karl sofort, „ich muß die Photographie finden. Aber ehe ich die Taschen durchsuche, sage ich noch, daß, wer mir die Photographie freiwillig gibt, den ganzen gefüllten Koffer bekommt." Nach einem Augenblick allgemeiner Stille sagte Karl zum Kellner: „Meine Kameraden wol- len also offenbar die Taschendurchsuchung. Aber selbst jetzt verspreche ich sogar demjenigen, in dessen Tasche die Photographie gefunden wird, den ganzen Koffer. Mehr kann ich nicht tun." Sofort machte sich der Kell- ner daran, Delamarche zu untersuchen, der ihm schwie- riger zu behandeln schien, als Robinson, den er Karl überließ. Er machte Karl darauf aufmerksam, daß beide gleichzeitig untersucht werden müßten, da sonst einer unbeobachtet die Photographie beiseite schaffen könnte. Gleich beim ersten Griff fand Karl in Robinsons Tasche eine ihm gehörige Kravatte, aber er nahm sie nicht an sich und rief dem Kellner zu: „Was Sie bei Delamarche auch finden mögen, lassen Sie ihm bitte alles. Ich will nichts als die Photographie, nur die Photographie." Beim Durchsuchen der Brusttaschen gelangte Karl mit der Hand an die heiße fettige Brust Robinsons und da kam es ihm zu Bewußtsein, daß er an seinen Kameraden vielleicht ein großes Unrecht begehe. Er beeilte sich nun nach Möglichkeit. Im übrigen war alles umsonst, weder bei Robinson noch bei Delamarche fand sich die Photo- graphie vor.
    „Es hilf nichts", sagte der Kellner. „Sie haben wahr- scheinlich die Photographie zerrissen und die Stücke weggeworfen", sagte Karl, „ich dachte sie wären meine Freunde, aber im Geheimen wollten sie mir nur schaden. Nicht eigentlich Robinson, der wäre gar nicht auf den Einfall gekommen, daß die Photographie solchen Wert für mich hat, aber desto mehr Delamarche." Karl sah nur den

Weitere Kostenlose Bücher