Der Verschollene
wollen dann lassen Sie eben Ihre Kamera- den draußen und kommen allein zu uns." „Das geht nicht, das geht nicht", sagte Karl, „es sind meine Kame- raden und ich muß bei ihnen bleiben." „Sie sind starr- köpfig", sagte die Frau und sah von ihm weg, „man meint es gut mit Ihnen, möchte Ihnen gern behilflich sein und Sie wehren sich mit allen Kräfen." Karl sah das alles ein, aber er wußte keinen Ausweg, so sagte er nur noch: „Meinen besten Dank für Ihre Freundlichkeit", dann erinnerte er sich daran, daß er noch nicht gezahlt hatte, und fragte nach dem schuldigen Betrag. „Zahlen Sie das erst, bis Sie mir den Strohkorb zurückbringen", sagte die Frau. „Spätestens morgen früh muß ich ihn haben." „Bitte", sagte Karl. Sie öffnete eine Türe, die geradewegs ins Freie führte und sagte noch, während er mit einer Verbeugung hinaustrat: „Gute Nacht. Sie han- deln aber nicht recht." Er war schon ein paar Schritte weit, da rief sie ihm noch nach: „Auf Wiedersehn morgen!"
Kaum war er draußen, hörte er auch schon wieder aus dem Saal den ungeschwächten Lärm, in den sich jetzt auch Klänge eines Blasorchesters mischten. Er war froh, daß er nicht durch den Saal hatte herausgehn müssen. Das Hotel war jetzt in allen seinen fünf Stockwerken beleuchtet und machte die Straße davor in ihrer ganzen Breite hell. Noch immer fuhren draußen wenn auch schon in unterbrochener Folge Automobile, rascher aus der Ferne her anwachsend als bei Tag, tasteten mit den weißen Strahlen ihrer Laternen den Boden der Straße ab, kreuzten mit erblassenden Lichtern die Lichtzone des Hotels und eilten aufleuchtend in das weitere Dunkel.
Die Kameraden fand Karl schon in tiefem Schlaf, er war aber auch zu lange ausgeblieben. Gerade wollte er das Mitgebrachte appetitlich auf Papieren ausbreiten, die er im Korbe vorfand, um erst wenn alles fertig wäre, die Kameraden zu wecken, als er zu seinem Schrecken sei- nen Koffer, den er abgesperrt zurückgelassen hatte und dessen Schlüssel er in der Tasche trug, vollständig geöff- net sah, während der halbe Inhalt ringsherum im Gras verstreut war. „Steht auf!" rief er. „Ihr schlaf und in- zwischen waren Diebe da." „Fehlt denn etwas?" fragte Delamarche. Robinson war noch nicht ganz wach und griff schon nach dem Bier. „Ich weiß nicht", rief Karl, „aber der Koffer ist offen. Das ist doch eine Unvorsich- tigkeit sich schlafen zu legen und den Koffer hier frei stehen zu lassen." Delamarche und Robinson lachten und der erstere sagte: „Sie dürfen eben nächstens nicht so lange fortbleiben. Das Hotel ist zehn Schritte entfernt und Sie brauchen zum Hin- und Herweg drei Stunden. Wir haben Hunger gehabt, haben gedacht, daß Sie in Ihrem Koffer etwas zum Essen haben könnten und ha- ben das Schloß solange gekitzelt, bis es sich aufgemacht hat. Im übrigen war ja gar nichts drin und Sie können alles wieder ruhig einpacken." „So", sagte Karl, starrte in den rasch sich leerenden Korb und horchte auf das eigentümliche Geräusch, das Robinson beim Trinken hervorbrachte, da ihm die Flüssigkeit zuerst weit in die Gurgel eindrang, dann aber mit einer Art Pfeifen wieder zurückschnellte, um erst dann in großem Erguß in die Tiefe zu rollen. „Haben Sie schon zu ende gegessen?" fragte er, als sich die beiden einen Augenblick ver- schnaufen. „Haben Sie denn nicht schon im Hotel ge- gessen?" fragte Delamarche, der glaubte, Karl beanspru- che seinen Anteil. „Wenn Sie noch essen wollen, dann beeilen Sie sich", sagte Karl und gieng zu seinem Koffer. Der scheint Launen zu haben", sagte Delamarche zu Robinson. „Ich habe keine Launen", sagte Karl, „aber ist es vielleicht recht in meiner Abwesenheit meinen Koffer aufzubrechen und meine Sachen herauszuwerfen. Ich weiß man muß unter Kameraden manches dulden, und ich habe mich auch darauf vorbereitet, aber das ist zuviel. Ich werde im Hotel übernachten und gehe nicht nach Butterford. Essen Sie rasch auf, ich muß den Korb zurückgeben." „Siehst Du Robinson, so spricht man", sagte Delamarche, „das ist die feine Redeweise. Er ist eben ein Deutscher. Du hast mich früh vor ihm gewarnt, aber ich bin ein guter Narr gewesen und habe ihn doch mitgenommen. Wir haben ihm unser Vertrauen ge- schenkt, haben ihn einen ganzen Tag mit uns geschleppt, haben dadurch zumindest einen halben Tag verloren und jetzt – weil ihn dort im Hotel irgendjemand gelockt hat verabschiedet er sich, verabschiedet sich einfach. Aber weil er ein
Weitere Kostenlose Bücher