Der Verschollene
falscher Deutscher ist, tut er dies nicht offen, sondern sucht sich den Vorwand mit dem Koffer und weil er ein grober Deutscher ist, kann er nicht weggehn, ohne uns in unserer Ehre zu beleidigen und uns Diebe zu nennen, weil wir mit seinem Koffer einen kleinen Scherz gemacht haben." Karl, der seine Sachen packte, sagte ohne sich umzuwenden: „Reden Sie nur so weiter und erleichtern Sie mir das Weggehn. Ich weiß ganz gut, was Kameradschaf ist. Ich habe in Europa auch Freun- de gehabt und keiner kann mir vorwerfen, daß ich mich falsch oder gemein gegen ihn benommen hätte. Wir sind jetzt natürlich außer Verbindung, aber wenn ich noch einmal nach Europa zurückkommen sollte, werden mich alle gut aufnehmen und mich sofort als ihren Freund anerkennen. Und Sie Delamarche und Sie Robinson, Sie hätte ich verraten sollen, da Sie doch, was ich niemals vertuschen werde, so freundlich waren, sich meiner an- zunehmen und mir eine Lehrlingsstelle in Butterford in Aussicht zu stellen. Aber es ist etwas anderes. Sie haben nichts und das erniedrigt Sie in meinen Augen nicht im geringsten, aber Sie mißgönnen mir meinen kleinen Be- sitz und suchen mich deshalb zu demütigen, das kann ich nicht aushalten. Und nun nachdem Sie meinen Kof- fer aufgebrochen haben, entschuldigen Sie sich mit kei- nem Wort, sondern beschimpfen mich noch und be- schimpfen weiter mein Volk – damit nehmen Sie mir aber auch jede Möglichkeit bei Ihnen zu bleiben. Übri- gens gilt das alles nicht eigentlich von Ihnen Robinson. Gegen Ihren Charakter habe ich nur einzuwenden, daß Sie von Delamarche zu sehr abhängig sind." „Da sehn wir ja", sagte Delamarche indem er zu Karl trat und ihm einen leichten Stoß gab, wie um ihn aufmerksam zu ma- chen, „da sehn wir ja wie Sie sich entpuppen. Den gan- zen Tag sind Sie hinter mir gegangen, haben sich an meinem Rock gehalten, haben mir jede Bewegung nach- gemacht und waren sonst still wie ein Mäuschen. Jetzt aber da Sie im Hotel irgendeinen Rückhalt spüren, fan- gen Sie große Reden zu halten an. Sie sind ein kleiner Schlaumeier und ich weiß noch gar nicht, ob wir das so ruhig hinnehmen werden. Ob wir nicht das Lehrgeld für das verlangen werden, was Sie uns während des Tages abgeschaut haben. Du Robinson, wir beneiden ihn – meint er – um seinen Besitz. Ein Tag Arbeit in Butter- ford – von Kalifornien gar nicht zu reden – und wir haben zehnmal mehr, als Sie uns gezeigt haben und als Sie in Ihrem Rockfutter noch versteckt haben mögen. Also nur immer Achtung aufs Maul!" Karl hatte sich vom Koffer erhoben und sah nun auch den verschlafe- nen, aber vom Bier ein wenig belebten Robinson heran- kommen. „Wenn ich noch lange hierbliebe", sagte er, könnte ich vielleicht noch weitere Überraschungen er- leben. Sie scheinen Lust zu haben, mich durchzuprü- geln." „Alle Geduld hat ein Ende", sagte Robinson. „Sie schweigen besser, Robinson", sagte Karl, ohne Dela- marche aus den Augen zu lassen, „im Innern geben Sie mir ja doch recht, aber nach außen müssen Sie es mit Delamarche halten." „Wollen Sie ihn vielleicht beste- chen?" fragte Delamarche. „Fällt mir nicht ein", sagte Karl. „Ich bin froh, daß ich fortgehe und ich will mit keinem von Ihnen mehr etwas zu tun haben. Nur eines will ich noch sagen, Sie haben mir den Vorwurf gemacht, daß ich Geld besitze und es vor Ihnen versteckt habe. Angenommen, daß es wahr ist, war es nicht sehr richtig Leuten gegenüber gehandelt, die ich erst paar Stunden kannte und bestätigen Sie nicht noch durch Ihr jetziges Benehmen die Richtigkeit einer derartigen Handlungs- weise?" „Bleib ruhig", sagte Delamarche zu Robinson, trotzdem sich dieser nicht rührte. Dann fragte er Karl: „Da Sie so unverschämt aufrichtig sind, so treiben Sie doch, da wir ja so gemütlich beisammen stehn, diese Aufrichtigkeit noch weiter und gestehn Sie ein, warum Sie eigentlich ins Hotel wollen." Karl mußte einen Schritt über den Koffer hinweg machen, so nahe war Delamarche an ihn herangetreten. Aber Delamarche ließ sich dadurch nicht beirren, schob den Koffer beiseite, machte einen Schritt vorwärts, wobei er den Fuß auf ein weißes Vorhemd setzte, das im Gras liegen geblieben war und wiederholte seine Frage.
Wie zur Antwort stieg von der Straße her ein Mann mit einer stark leuchtenden Taschenlampe zu der Grup- pe herauf. Es war ein Kellner aus dem Hotel. Kaum hatte er Karl erblickt, sagte er: „Ich suche Sie schon fast eine halbe Stunde. Alle Böschungen
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