Der Verschollene
wiederholte Karl leise und fragend, er erinnerte sich jetzt, wie er vom Portier während der ganzen Zeit seines hiesigen Aufent- haltes immer streng und vorwurfsvoll angeschaut wor- den war, schon von jenem ersten Morgen, an dem er, seiner dienenden Stellung noch nicht recht angepaßt, et- was zu kühn, diesen Portier ohne weiters umständlich und dringlich ausgefragt hatte, ob nicht zwei Männer vielleicht nach ihm gefragt und etwa eine Photographie für ihn zurückgelassen hätten. „Jetzt siehst Du, wohin ein solches Benehmen führt", sagte der Portier, der wie- der ganz nahe zu Karl zurückgekehrt war und zeigte auf den noch lesenden Oberkellner, als sei dieser der Vertre- ter seiner Rache. „In Deiner nächsten Stellung wirst Du es schon verstehn, den Portier zu grüßen und wenn es auch nur vielleicht in einer elenden Spelunke sein wird." Karl sah ein, daß er eigentlich seinen Posten schon verloren hatte, denn der Oberkellner hatte es bereits ausgesprochen, der Oberportier als fertige Tatsache wie- derholt und wegen eines Lifjungen dürfe wohl die Be- stätigung der Entlassung seitens der Hoteldirektion nicht nötig sein. Es war allerdings schneller gegangen, als er gedacht hatte, denn schließlich hatte er doch zwei Monate gedient so gut er konnte und gewiß besser als mancher andere Junge. Aber auf solche Dinge wird eben im entscheidenden Augenblick offenbar in keinem Welt- teil, weder in Europa noch in Amerika Rücksicht ge- nommen, sondern es wird so entschieden, wie einem in der ersten Wut das Urteil aus dem Munde fährt. Viel- leicht wäre es jetzt am besten gewesen, wenn er sich gleich verabschiedet hätte und weggegangen wäre, die Oberköchin und Terese schliefen vielleicht noch, er hätte sich, um ihnen die Enttäuschung und Trauer über sein Benehmen wenigstens beim persönlichen Abschied zu ersparen, brieflich verabschieden können, hätte rasch seinen Koffer packen und in der Stille fortgehn können. Blieb er aber auch nur einen Tag noch – und er hätte allerdings ein wenig Schlaf gebraucht – so erwartete ihn nichts anderes, als Aufauschung seiner Sache zum Skandal, Vorwürfe von allen Seiten, der unerträgliche Anblick der Tränen Tereses und vielleicht gar der Oberköchin und möglicherweise zuguterletzt auch noch eine Bestrafung. Andererseits aber beirrte es ihn, daß er hier zwei Feinden gegenüberstand und daß an jedem Wort, das er aussprechen würde, wenn nicht der eine, so der andere etwas aussetzen und zum Schlechten deuten würde. Deshalb schwieg er und genoß vorläufig die Ru- he, die im Zimmer herrschte, denn der Oberkellner las noch immer die Zeitung und der Oberportier ordnete sein über den Tisch hin verstreutes Verzeichnis nach den Seitenzahlen, was ihm bei seiner offenbaren Kurzsich- tigkeit große Schwierigkeiten machte.
Endlich legte der Oberkellner die Zeitung gähnend hin, vergewisserte sich durch einen Blick auf Karl daß dieser noch anwesend sei und drehte die Glocke des Tischtelephons an. Er rief mehrere Male Halloh, aber niemand meldete sich. „Es meldet sich niemand", sagte er zum Oberportier. Dieser, der das Telephonieren wie es Karl schien, mit besonderem Interesse beobachtete, sagte: „Es ist ja schon dreiviertel sechs. Sie ist gewiß schon wach. Läuten Sie nur stärker." In diesem Augen- blick kam, ohne weitere Aufforderung das telephonische Gegenzeichen. „Hier Oberkellner Isbary", sagte der Oberkellner. „Guten Morgen Frau Oberköchin. Ich ha- be Sie doch nicht am Ende geweckt. Das tut mir sehr leid. Ja, ja, dreiviertel sechs ist schon. Aber das tut mir aufrichtig leid, daß ich Sie erschreckt habe. Sie sollten während des Schlafens das Telephon abstellen. Nein, nein tatsächlich, es gibt für mich keine Entschuldigung, besonders bei der Geringfügigkeit der Sache wegen de- ren ich Sie sprechen will. Aber natürlich habe ich Zeit, bitte sehr, ich bleibe beim Telephon wenn es Ihnen recht ist." „Sie muß im Nachthemd zum Telephon gelaufen sein", sagte der Oberkellner lächelnd zum Oberportier, der die ganze Zeit über mit gespanntem Gesichtsaus- druck zum Telephonkasten sich gebückt gehalten hatte. Ich habe sie wirklich geweckt, sie wird nämlich sonst von dem kleinen Mädel, das bei ihr auf der Schreibma- schine schreibt, geweckt und die muß es heute aus- nahmsweise versäumt haben. Es tut mir leid, daß ich sie aufgeschreckt habe, sie ist so wie so nervös." „Warum spricht sie nicht weiter?" „Sie ist nachschauen gegangen, was mit dem
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