Der Verschollene
Mädel los ist", antwortete der Oberkellner schon mit der Muschel am Ohr, denn es läutete wieder. „Sie wird sich schon finden", redete er weiter ins Tele- phon hinein. „Sie dürfen sich nicht von allem so er- schrecken lassen, Sie brauchen wirklich eine gründliche Erholung. Ja also meine kleine Anfrage. Es ist da ein Lifjunge, namens" – er drehte sich fragend nach Karl um, der, da er genau aufpaßte gleich mit seinem Namen aushelfen konnte – „also namens Karl Roßmann, wenn ich mich recht erinnere, so haben Sie sich für ihn ein wenig interessiert; leider hat er Ihre Freundlichkeit schlecht belohnt, er hat ohne Erlaubnis seinen Posten verlassen, hat mir dadurch schwere jetzt noch gar nicht übersehbare Unannehmlichkeiten verursacht und ich habe ihn daher soeben entlassen. Ich hoffe Sie nehmen die Sache nicht tragisch. Wie meinen Sie? Entlassen, ja entlassen. Aber ich sagte Ihnen doch, daß er seinen Po- sten verlassen hat. Nein da kann ich Ihnen wirklich nicht nachgeben liebe Frau Oberköchin. Es handelt sich um meine Autorität, da steht viel auf dem Spiel, so ein Junge verdirbt mir die ganze Bande. Gerade bei den Lifjungen muß man teuflisch aufpassen. Nein, nein, in diesem Falle kann ich Ihnen den Gefallen nicht tun, so sehr ich es mir immer angelegen sein lasse Ihnen gefällig zu sein. Und wenn ich ihn schon trotz allem hier ließe, zu keinem andern Zweck als um meine Galle in Tätigkeit zu erhal- ten, Ihretwegen, ja Ihretwegen Frau Oberköchin kann er nicht hierbleiben. Sie nehmen einen Anteil an ihm, den er durchaus nicht verdient und da ich nicht nur ihn kenne, sondern auch Sie, weiß ich, daß das zu den schwersten Enttäuschungen für Sie führen müßte, die ich Ihnen um jeden Preis ersparen will. Ich sage das ganz offen, trotzdem der verstockte Junge paar Schritte vor mir steht. Er wird entlassen, nein nein Frau Oberköchin, er wird vollständig entlassen, nein nein er wird zu keiner andern Arbeit versetzt, er ist vollständig unbrauchbar. Übrigens laufen ja auch sonst Beschwerden gegen ihn ein. Der Oberportier z. B. ja also was denn, Feodor, ja beklagt sich über die Unhöflichkeit und Frechheit dieses Jungen. Wie, das soll nicht genügen? Ja liebe Frau Ober- köchin Sie verläugnen wegen dieses Jungen Ihren Cha- rakter. Nein so dürfen Sie mir nicht zusetzen."
In diesem Augenblick beugte sich der Portier zum Ohr des Oberkellners und flüsterte etwas. Der Ober- kellner sah ihn zuerst erstaunt an und redete dann so rasch in das Telephon, daß Karl ihn anfangs nicht ganz genau verstand und auf den Fußspitzen zwei Schritte nähertrat.
„Liebe Frau Oberköchin", hieß es, „aufrichtig gesagt, ich hätte nicht geglaubt, daß Sie eine so schlechte Men- schenkennerin sind. Eben erfahre ich etwas über Ihren Engelsjungen, was Ihre Meinung über ihn gründlich än- dern wird und es tut mir fast leid, daß gerade ich es Ihnen sagen muß. Dieser feine Junge also, den Sie ein Muster von Anstand nennen, läßt keine dienstfreie Nacht vergehn, ohne in die Stadt zu laufen, aus der er erst am Morgen wiederkommt. Ja ja Frau Oberköchin das ist durch Zeugen bewiesen, durch einwandfreie Zeu- gen, ja. Können Sie mir nun vielleicht sagen, wo er das Geld zu diesen Lustbarkeiten hernimmt? Wie er die Aufmerksamkeit für seinen Dienst behalten soll? Und wollen Sie vielleicht auch noch, daß ich Ihnen beschrei- ben soll, was er in der Stadt treibt? Diesen Jungen loszu- werden, will ich mich aber ganz besonders beeilen. Und Sie bitte nehmen das als Mahnung, wie vorsichtig man gegen hergelaufene Burschen sein soll."
„Aber Herr Oberkellner", rief nun Karl, förmlich er- leichtert durch den großen Irrtum, der hier unterlaufen schien, und der vielleicht am ehesten dazu führen konn- te, daß sich alles noch unerwartet besserte, „da liegt be- stimmt eine Verwechslung vor. Ich glaube, der Herr Oberportier hat Ihnen gesagt, daß ich jede Nacht weg- gehe. Das ist aber durchaus nicht richtig, ich bin viel- mehr jede Nacht im Schlafsaal, das können alle Jungen bestätigen. Wenn ich nicht schlafe lerne ich kaufmänni- sche Korrespondenz, aber aus dem Schlafsaal rühre ich mich keine Nacht. Das ist ja leicht zu beweisen. Der Herr Oberportier verwechselt mich offenbar mit jemand anderm und jetzt verstehe ich auch, warum er glaubt daß ich ihn nicht grüße."
„Wirst Du sofort schweigen", schrie der Oberportier und schüttelte die Faust, wo andere einen Finger bewegt hatten, „ich soll Dich mit
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