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Der Verschollene

Der Verschollene

Titel: Der Verschollene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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besser ich aber aufpassen und mich verteidi- gen kann, desto mehr Hoffnung ist, daß ich bleibe. Also, Therese – " Leider konnte er in einem plötzlichen Schmerz nicht unterlassen leise hinzuzufügen: „Wenn mich nur dieser Oberportier loslassen würde! Ich wußte gar nicht daß er mein Feind ist. Aber wie er mich immer- fort drückt und zieht." „Warum sage ich das nur!" dachte er gleichzeitig, „kein Frauenzimmer kann das ru- hig anhören" und tatsächlich wendete sich Terese, oh- ne daß er sie noch mit der freien Hand hätte davon abhalten können, an den Oberportier: „Herr Oberpor- tier bitte lassen Sie doch sofort den Roßmann frei. Sie machen ihm ja Schmerzen. Die Frau Oberköchin wird gleich persönlich kommen und dann wird man schon sehn, daß ihm in allem Unrecht geschieht. Lassen Sie ihn los, was kann es Ihnen denn für ein Vergnügen machen ihn zu quälen." Und sie griff sogar nach des Oberpor- tiers Hand. „Befehl kleines Fräulein, Befehl", sagte der Oberportier und zog mit der freien Hand Terese freundlich an sich, während er mit der andern Karl nun sogar angestrengt drückte, als wolle er ihm nicht nur Schmerzen machen, sondern als habe er mit diesem in seinem Besitz befindlichen Arm ein besonderes Ziel, das noch lange nicht erreicht sei.
    Terese brauchte einige Zeit um sich der Umarmung
    des Oberportiers zu entwinden und wollte sich gerade beim Oberkellner, der noch immer von dem sehr um- ständlichen Bess sich erzählen ließ, für Karl einsetzen, als die Oberköchin mit raschem Schritte eintrat. „Gott- seidank", rief Terese und man hörte einen Augenblick im Zimmer nichts als diese lauten Worte. Gleich sprang der Oberkellner auf und schob Bess zur Seite: „Sie kom- men also selbst Frau Oberköchin. Wegen dieser Kleinig- keit? Nach unserem Telephongespräch konnte ich es ja ahnen, aber geglaubt habe ich es eigentlich doch nicht. Und dabei wird die Sache Ihres Schützlings immerfort ärger. Ich fürchte ich werde ihn tatsächlich nicht entlas- sen aber dafür einsperren lassen müssen. Hören Sie selbst!" Und er winkte Bess herbei. „Ich möchte zuerst paar Worte mit dem Roßmann reden", sagte die Ober- köchin und setzte sich auf einen Sessel, da sie der Ober- kellner hiezu nötigte. „Karl bitte komm näher", sagte sie dann. Karl folgte oder wurde vielmehr vom Oberportier nähergeschleppt. „Lassen Sie ihn doch los", sagte die Oberköchin ärgerlich, „er ist doch kein Raubmörder." Der Oberportier ließ ihn tatsächlich los, drückte aber vorher noch einmal so stark, daß ihm selbst vor Anstren- gung die Tränen in die Augen traten.
      „Karl", sagte die Oberköchin, legte die Hände ruhig in den Schoß und sah Karl mit geneigtem Kopfe an – es war gar nicht wie ein Verhör – „vor allem will ich Dir sagen, daß ich noch vollständiges Vertrauen zu Dir habe. Auch der Herr Oberkellner ist ein gerechter Mann, da- für bürge ich. Wir beide wollen Dich im Grunde gerne hierbehalten." – Sie sah hiebei flüchtig zum Oberkellner hinüber, als wolle sie bitten, ihr nicht ins Wort zu fallen. Es geschah auch nicht – „Vergiß also, was man Dir bis jetzt vielleicht hier gesagt hat. Vor allem was Dir viel- leicht der Herr Oberportier gesagt hat, mußt Du nicht besonders schwer nehmen. Er ist zwar ein aufgeregter Mann, was bei seinem Dienst kein Wunder ist, aber er hat auch Frau und Kinder und weiß, daß man einen Jungen, der nur auf sich angewiesen ist, nicht unnötig plagen muß, sondern daß das schon die übrige Welt ge- nügend besorgt."
       Es war ganz still im Zimmer. Der Oberportier sah Erklärungen fordernd auf den Oberkellner, dieser sah auf die Oberköchin und schüttelte den Kopf. Der Lif- junge Bess grinste recht sinnlos hinter dem Rücken des Oberkellners. Terese schluchzte vor Freude und Leid in sich hinein und hatte alle Mühe es niemanden hören zu lassen.
       Karl aber blickte, trotzdem das nur als schlechtes Zei- chen aufgefaßt werden konnte, nicht auf die Oberkö- chin, die gewiß nach seinem Blick verlangte, sondern vor sich auf den Fußboden. In seinem Arm zuckte der Schmerz nach allen Richtungen, das Hemd klebte an dem Striemen fest und er hätte eigentlich den Rock aus- ziehn und die Sache besehen sollen. Was die Oberköchin sagte, war natürlich sehr freundlich gemeint, aber un- glücklicher Weise schien es ihm, als müsse es gerade durch das Verhalten der Oberköchin zu Tage treten, daß er keine Freundlichkeit verdiene, daß er die Wohltaten der

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