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Der Verschollene

Der Verschollene

Titel: Der Verschollene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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aus dem Wagen gesteckt und verhielt sich vor Spannung ganz ruhig; hie und da ein Augenzwinkern war seine einzige Bewegung. Der Bursche im Tor schlug in die Hände vor Vergnügen, die Frau neben ihm gab ihm einen Stoß mit dem Elbogen, damit er ruhig sei. Die Gepäckträger hatten gerade Frühstückspause und erschienen sämtlich mit großen Töpfen schwarzen Kaffees, in dem sie mit Stangenbroden herumrührten. Einige setzten sich auf den Trottoirrand, alle schlürften den Kaffee sehr laut.

    "Sie kennen wohl den Jungen", fragte der Polizeimann den Delamarche. "Besser als mir lieb ist", sagte dieser. "Ich habe ihm zu seiner Zeit viel Gutes getan, er aber hat sich dafür sehr schlecht bedankt, was Sie wohl, selbst nach dem ganz kurzen Verhör das Sie mit ihm angestellt haben, leicht begreifen werden." "Ja", sagte der Polizeimann, "es scheint ein verstockter Junge zu sein. " "Das ist er", sagte Delamarche, "aber es ist das noch nicht seine schlechteste Eigenschaft." "So?" sagte der Polizeimann. "Ja", sagte Delamarche, der nun im Reden war und dabei mit den Händen in den Taschen seinen ganzen Mantel in schwingende Bewegung brachte, "das ist ein feiner Hecht. Ich und mein Freund dort im Wagen, wir haben ihn zufällig im Elend aufgegriffen, er hatte damals keine Ahnung von amerikanischen Verhältnissen, er kam gerade aus Europa, wo man ihn auch nicht hatte brauchen können, nun wir schleppten ihn mit uns, ließen ihn mit uns leben, erklärten ihm alles, wollten ihm einen Posten verschaffen, dachten trotz aller Anzeichen, die dagegen sprachen, noch einen brauchbaren Menschen aus ihm zu machen, da verschwand er einmal in der Nacht, war einfach weg und das unter Begleitumständen, die ich
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    lieber verschweigen will. War es so oder nicht" fragte Delamarche schließlich und zupfte Karl am Hemdärmel.
    "Zurück ihr Kinder", rief der Polizeimann, denn diese hatten sich soweit vorgedrängt, daß Delamarche fast über eines gestolpert wäre. Inzwischen waren auch die Gepäckträger, die bisher die Interessantheit dieses Verhörs unterschätzt hatten, aufmerksam geworden und hatten sich in dichtem Ring hinter Karl versammelt, der nun auch nicht einen Schritt hätte zurücktreten können und überdies unaufhörlich in den Ohren das Durcheinander der Stimmen dieser Gepäckträger hatte, die in einem gänzlich unverständlichen vielleicht mit slavischen Worten untermischten Englisch mehr polterten als redeten.

    "Danke für die Auskunft", sagte der Polizeimann und salutierte vor Delamarche. "Jedenfalls werde ich ihn mitnehmen und dem Hotel occidental zurückgeben lassen. " Aber Delamarche sagte: "Dürfte ich die Bitte stellen, mir den Jungen vorläufig zu überlassen, ich hätte einiges mit ihm in Ordnung zu bringen. Ich verpflichte mich, ihn dann selbst ins Hotel zurückzuführen. " "Das kann ich nicht tun", sagte der Polizeimann. Delamarche sagte: "Hier ist meine Visitkarte" und reichte ihm ein Kärtchen. Der Polizeimann sah es anerkennend an, sagte aber verbindlich lächelnd: "Nein es ist vergeblich. "

    So sehr sich Karl bisher vor Delamarche gehütet hatte, jetzt sah er in ihm die einzig mögliche Rettung. Es war zwar verdächtig, wie sich dieser beim Polizeimann um Karl bewarb, aber jedenfalls würde sich Delamarche leichter als der Polizeimann bewegen lassen, ihn nicht ins Hotel
    zurückzuführen. Und selbst wenn Karl an der Hand des Delamarche ins Hotel zurückkam, so war es viel weniger schlimm, als wenn es in Begleitung des Polizeimannes geschah.
    Vorläufig aber durfte natürlich Karl nicht zu erkennen geben, daß er tatsächlich zu Delamarche wollte, sonst war alles
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    verdorben. Und unruhig sah er auf die Hand des Polizeimanns, die sich jeden Augenblick erheben konnte, um ihn zu fassen.

    "Ich müßte doch wenigstens erfahren, warum er plötzlich entlassen worden ist", sagte schließlich der Polizeimann, während Delamarche mit verdrießlichem Gesicht beiseite sah und die Visitkarte zwischen den Fingerspitzen zerdrückte. "Aber er ist doch gar nicht entlassen", rief Robinson zu allgemeiner Überraschung und beugte sich auf den Chauffeur gestützt möglichst weit aus dem Wagen. "Im Gegenteil, er hat ja dort einen guten Posten. Im Schlafsaal ist er der oberste und kann hineinführen, wen er will. Nur ist er riesig beschäftigt und wenn man etwas von ihm haben will, muß man lange warten.
    Immerfort steckt er beim Oberkellner, bei der Oberköchin und ist Vertrauensperson. Entlassen ist er auf keinen Fall. Ich

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