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Der verschwundene Gast - Ani, F: verschwundene Gast

Der verschwundene Gast - Ani, F: verschwundene Gast

Titel: Der verschwundene Gast - Ani, F: verschwundene Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Süden.
    Er bildete sich ein, den Duft von Flieder wahrzunehmen. Er legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und sog die warme Luft ein.
    Reglos stand er da, die Arme vor der Brust verschränkt. Er dachte an seinen besten Freund und Kollegen Martin Heuer, der ihn dafür verachtet hätte, dass er im Gasthaus ein alkoholfreies Bier bestellte. Entweder man trank, sagte Heuer Zeit seines Lebens, oder man trank nicht, entweder man vertrug was oder man vertrug nichts, entweder man war dem Trinken gewachsen oder man war noch zu klein dazu.
    »Recht hast du«, sagte Süden und öffnete die Augen. »Und entweder man hat ein Handy oder man hat keins.«
    Sein Freund und er waren die einzigen Kommissare beim Polizeipräsidium gewesen, die immer ohne Handy das Büro verließen, die nicht einmal eines besaßen. Wir sind erreichbar genug, sagten sie zu jedem, der es wissen wollte.
    Martin Heuer, Raucher, Trinker, Überlebender so vieler abgrundtiefer Nächte, lebte nicht mehr. In einem Müllcontainer im Hinterhof eines schäbigen Bordells in Berg am Laim hatte er sich mit dreiundvierzig Jahren eine Kugel in den Kopf geschossen.
    Und kein Tag verging, so schön und duftend er sein mochte, an dem Tabor Süden nicht an ihn dachte und ihn vermisste.

3
    Auf die Frage, warum sie ihn anlüge, erwiderte Margret Grotwohl: »Ich hab keine Lust und keine Zeit, mich mit Ihnen zu unterhalten. Ich habe eine Schülerin, das sehen Sie doch, die bezahlt die Stunde. Oder wollen
Sie
die Stunde bezahlen?«
    »Nein«, sagte Süden.
    »Dann bitt ich Sie zu gehen.«
    »Diese Fotos, die hier überall hängen, sind von Ihnen. Sie sind Sängerin.«
    »Ich war Sängerin.«
    »Sie singen nicht mehr.«
    »Nur noch selten.«
    »Offensichtlich waren Sie berühmt. Das ist eine Goldene Schallplatte.«
    »Die Zeiten sind vorbei.«
    »Ihr Künstlername ist Antonia La Blanche.«
    »Ich hab keinen Künstlernamen mehr.«
    »Aber eine Künstlerin sind Sie immer noch.«
    Mit einem Ruck wandte sie sich ab und streckte den Kopf durch die Wohnzimmertür. »Ich bin sofort bei dir, Natalia.«
    Seit Margret Grotwohl den Kommissar in die Wohnung gelassen hatte, standen sie im Flur, der mit dunkelbraunem Teppich ausgelegt war. An den hohen Wänden der Altbauwohnung hingen unzählige gerahmte Fotografien und Zeitungsausschnitte hinter Glas.
    »Herr Leimer hat Sie fast jeden Tag angerufen«, sagte Süden, »und Sie wissen, wo er sich im Moment aufhält.«
    »Nein.«
    »Wir treffen uns heute Abend«, sagte er. »Ich lade Sie zum Essen ein und Sie erzählen mir von Ihrem Freund.«
    »Das werd ich nicht tun.«
    »Um acht im
Adria
, da müssen Sie nicht weit gehen.«
    »Ich weiß nicht, wo Herr Leimer steckt.«
    »Ich möchte etwas über sein Wesen erfahren, seine Angewohnheiten, Dinge, die nur Sie von ihm wissen.«
    Die sechsundfünfzigjährige Frau in dem langen, schwarzen Kleid, das an ihr aussah, als trage sie es für einen Auftritt – allerdings war sie barfuß –, zögerte lange.
    »Einverstanden«, sagte sie, und es klang entschlossen. »Aber ich möcht nicht, dass Sie mich einladen.«
    Sie schwiegen.
    Süden sah sich um. Alle Türen, mit Ausnahme der zum Wohnzimmer, waren geschlossen. Trotz der hohen Wände machte die Wohnung einen beklemmenden Eindruck.
    »Danke«, sagte Süden an der Tür zum Treppenhaus.
    Wortlos ging Margret Grotwohl ins Wohnzimmer und schloss die Tür hinter sich.
    Vor fünfundzwanzig Jahren hatten sie in dem italienischen Restaurant an der Leopold-/Ecke Franz-Josef-Straße ihre Nächte verbracht – sommers auf der Terrasse – und ihr neues, großstädtisches Empfinden trainiert. Unermüdlich erforschten sie mit ihren Blickenden Gang und die geheimen Absichten der jungen Frauen, die scheinbar scharenweise nach Mitternacht durch Schwabing pilgerten. Martin Heuer rauchte Salem ohne und spuckte Tabakkrümel auf den Boden, Tabor Süden stellte seine Narbe am Hals und den blauen Stein mit dem Adlermotiv an seiner Halskette zur Schau, indem er sein weißes Hemd weit offen trug.
    Als er an diesem Dienstagabend von seinem Tisch im Vorraum des Restaurants nach draußen blickte, wusste Süden nicht mehr, ob sie damals mit ihrer inszenierten Lässigkeit bei der Damenwelt überhaupt Erfolg gehabt hatten. Woran er sich genau erinnerte, war, dass kein noch so wütender morgendlicher Kater ihre Erleichterung schmälern konnte, endlich das Dorf, in dem sie aufgewachsen waren, hinter sich gelassen und mitten im Szeneviertel mit den tausend Lokalen eine kleine

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