Der verschwundene Weihnachtsengel: Ein Weihnachtskrimi in 24 Kapiteln
beobachten sie durch das große Schaufenster die Reinigung. Unmittelbar vor Weihnachten scheint Frau Bullbeisser ein gutes Geschäft zu machen. Die halbe Stadt hat ihre Festtagskleidung in der Reinigung abgegeben. Es geht zu wie in einem Taubenschlag. Da die gereinigten Kleidungsstücke auf einem Bügel hängend in einer durchsichtigen Plastikfolie ausgegeben werden, können Jakob und Ronnie gut erkennen, ob sich ein blauer Herrenmantel unter den Sachen befindet.
Leider dauert es fast den ganzen Nachmittag, bis ihre Beobachtungen Erfolg haben. Denn kurz vor sechzehn Uhr betritt ein Mann mit gezwirbeltem Schnauzbart die Reinigung. Beim Hinausgehen trägt er in der Plastikfolie einen blauen Mantel über dem Arm. Jakob und Ronnie schauen sich siegessicher an. Eilig verlassen sie die Buchhandlung und schleichen dem Mann hinterher.
»Hoffentlich steigt der jetzt nicht in ein Auto!«, stöhnt Ronnie, als der Verdächtige den großen Parkplatz hinter dem Kaufhaus anstrebt. Aber die Jungs haben Glück. Der Mann mit dem auffälligen Schnauzbart läuft am Parkplatz vorbei. Doch plötzlich bleibt er stehen. Er hat einen Bekannten getroffen, einen jungen Mann, mit dem er auf der Straße ein paar Worte wechselt. Jakob sieht, wie der junge Mann mit großen Gesten etwas erzählt. Offenbar etwas sehr Lustiges, denn der Mann mit dem Schnauzbart lacht derart stark, dass er sich dabei den Bauch halten muss. Dann setzt er seinen Weg fort. Endlich hat er in einer ruhigen Seitenstraße sein Ziel erreicht. Er öffnet ein Tor, hinter dem ein kleiner Garten zu einem zweistöckigen Haus führt. Als er darin verschwunden ist, schleichen Jakob und Ronnie zum Tor. Doch der Blick aufs Klingelschild zeigt ihnen sofort, dass sie auf der falschen Fährte sind. Denn auf dem Schild steht »Familie Rettich«.
»Oh nein, hier wohnt unsere Direktorin«, sagt Ronnie.
»Und der Mann mit dem Schnauzbart ist dann wohl Herr Rettich«, ergänzt Jakob.
Ronnie ist enttäuscht. »Nachdem Frau Rettich jedem persönlich den Kopf abreißen will, der den Engel gestohlen hat, ist es wohl sehr unwahrscheinlich, dass ihr Mann der Dieb ist«, sagt er.
Aber Jakob sieht ihre Beobachtung nicht als Fehlschlag. »Dann können wir ihn ja guten Gewissens von der Liste der Verdächtigen streichen. Aber morgen müssen wir die Augen besonders gut aufhalten. Zwei Personen werden ihre Mäntel abholen. Und einer von ihnen ist mit großer Wahrscheinlichkeit der Dieb des Weihnachtsengels!«
Werden Jakob und Ronnie den Dieb morgen überführen?
G leich nach der Schule laufen Jakob und Ronnie zur Reinigung in der Lämmchengasse. Beide sind aufgeregt. Denn sie sind sich sicher: Der heutige Tag wird sie einen wesentlichen Schritt weiterbringen. Sie haben alles genau geplant: Wenn der erste Verdächtige seinen blauen Mantel abholt, wird Jakob ihm folgen. Ronnie wird seine Beobachtungsstellung halten und auf den zweiten Mantelabholer warten.
Auch heute postieren sie sich in der Buchhandlung, die gegenüber Frau Bullbeissers Reinigung liegt. Die Buchhändlerin wirft zwar hin und wieder verwunderte Blicke auf die Jungen. Auch tappt sie ein paar Mal in deren Richtung, als wolle sie den Jungen Hilfe bei der Buchauswahl anbieten. Aber am Ende spricht sie weder Jakob noch Ronnie an und die beiden bleiben ungestört.
Aber dann gibt es doch ein Problem: Ronnie muss ganz dringend auf die Toilette. »Ich geh mal zum Marktplatz ins Cafe. Zu viel Limo«, sagt er.
Jakob ist gar nicht begeistert. »Und was ist, wenn der Dieb jetzt seinen Mantel abholt? Dann steht niemand mehr zur Beobachtung bereit, wenn ich ihn verfolge.«
»Ich beeil mich doch!«, beteuert Ronnie und tritt von einem Bein auf das andere.
»Dann schnell«, sagt Jakob, und Ronnie saust los. Er ist noch keine Minute verschwunden, da bewahrheitet sich Jakobs Befürchtung. Ein Mann verlässt die Reinigung, unter der durchsichtigen Plastikfolie in seinen Händen ist eindeutig ein blauer Herrenmantel zu erkennen.
»Au weia«, stößt Jakob hervor. Denn nicht nur, dass Ronnie noch nicht zurück ist. Der Mann mit dem blauen Mantel macht einen ganz und gar ungemütlichen Eindruck. Er trägt eine Glatze und eine braune Lederjacke mit Aufnähern eines Motorrad-Klubs, sein Gesicht ist grimmig und derb. Aus seinem Hemdausschnitt wächst eine blau tätowierte Rose an seinem Hals empor. Mit zittrigen Beinen verlässt Jakob die Buchhandlung und schaut sich verzweifelt um. Von Ronnie ist noch keine Spur zu sehen. Doch der Verdächtige
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