Der versunkene Wald
über ihm fiel zusammen wie ein Kartenhaus. Suzanne, Jean, Jacques und Pierre rutschten durch- und übereinander den Hang hinunter. Der Versuch war gescheitert. Es bestand wenig Hoffnung, daß sie ein zweites Mal mehr Glück haben würden.
Stumm und entmutigt rappelten sich die Meerkatzen wieder auf. Alles schien sich gegen sie verschworen zu haben. Nur eine Armlänge hatte gefehlt, und sie wären jetzt schon auf dem Rückweg. Sie gingen vorbei an der Lache mit den blinden Fischen, die steile Treppe hinauf, die gewundene Stiege, und schon wären die Wandelgänge der Abtei erreicht, die ,Große Straße‘, das Licht der Sonne …! Ach, es kam ihnen wie eine Ewigkeit vor, daß sie die Sonne nicht mehr erblickt hatten …
Bei diesen trüben Gedanken traf sie das neue Unglück, das Raymond insgeheim hatte kommen sehen. Das Licht seiner Taschenlampe wurde zusehends schwächer. Er hatte die Batterie vor diesem Ausflug schon ein- oder zweimal benutzt, und nun war sie aufgebraucht.
Der Schein des Glühfadens wurde bleicher, flackerte, erholte sich ein wenig und schwankte von neuem. Das Licht erlosch sogar schneller als gewöhnlich, wenn eine Batterie zu versagen beginnt. Vielleicht war sie im Verlauf der unterirdischen Wanderschaft feucht geworden.
Regungslos und angstvoll sahen die Meerkatzen dem Sterben des Lämpchens zu. Ihre Blicke klammerten sich an den zuckenden Rest von Helligkeit, als sei ihr eigenes Leben im Verlöschen. Unwillkürlich näherten sich ihre Köpfe der Lampe, um die letzten Lichtfunken aufzunehmen. Wie lange währte dieses angstvolle Warten? Sie hätten es nicht zu sagen vermocht. Endlich rötete sich der Glühfaden ein wenig, und dann war es aus.
Um sie her war nur noch die Stille und tiefes Dunkel.
Dann aber drang von fernher ein kaum wahrnehmbares Rauschen an ihr Ohr. Es war das Meer, das da oben aus dem Gang zurückströmte und den Weg freigab, den sie nicht mehr erreichen konnten.
V. Kapitel
DAS KRAFTWERK AM ÄRMELKANAL
Seit die Meerkatzen sich hinter dem Rücken des Fremdenführers und seiner Touristenherde aus dem Staube gemacht und den Lattenverschlag durchkrochen hatten, war ihre Lage noch nicht so ernst gewesen wie jetzt.
Voller Abenteuerlust waren sie ausgezogen, und wie kläglich war jetzt das Ende! In diesem schrecklichen Loch tief unter der Erde saßen sie gefangen, ohne Licht und ohne Hoffnung auf Hilfe. Niemand da draußen konnte ahnen, daß es diesen unterirdischen Gang überhaupt gab. In keinem der Bücher über den Mont Saint-Michel, die Pierre in der Bibliothek seines Vaters gefunden und verschlungen hatte, stand auch nur eine Zeile darüber. Auch als er damals mit seinem Vater die neu ausgegrabenen Teile der Abtei besichtigte, war von keinem Gang die Rede gewesen, der diesem glich.
Eigentlich war das schwer zu verstehen. Schließlich gab es diesen Gang doch, sie hatten ihn ja betreten. Wie ging es zu, daß die Architekten und Archäologen, die den gesamten Unterbau der Abtei erforschten, nicht längst schon diesen Zugang gefunden und den Verlauf des Ganges weiterverfolgt hatten? Für Fachleute mit entsprechender Ausrüstung wäre das eine viel einfachere Arbeit als etwa die Freilegung der Krypta, die Pierre damals gesehen hatte. Wenn die Meerkatzen sich jetzt in Lebensgefahr befanden, so kam das nicht zuletzt daher, daß sie ohne die geringsten Hilfsmittel losgegangen waren. Pierre erinnerte sich an Fotos von Höhlenforschern bei der Arbeit. Sie trugen Schutzhelme und Lampen an der Stirne wie Ärzte oder Bergleute; sie hatten Seile, Winden und Hacken bei sich, mehr als jeder Alpinist. Mit einer einzigen Ersatz-Batterie für ihre Taschenlampe, einer Spitzhacke und einem ordentlichen Seil von ein paar Metern Länge wären die Meerkatzen gut und gern diese lächerliche Schlittenbahn wieder hinauf gekommen!
Aber nichts von alledem besaßen sie. Während Pierre diese Überlegungen anstellte, drängten sie sich in der Dunkelheit dicht aneinander und suchten einer beim anderen Trost. Tastend schnallte Pierre den Riemen auseinander und gab jedem seinen Gürtel zurück:.
„Oh!“ rief er plötzlich, während er den eigenen wieder anlegte, „ich habe ja ein Feuerzeug in der Tasche! Das hatte ich ganz vergessen. Ein bißchen Licht gibt das immerhin.“
„Und hast du auch Benzin zum Nachfüllen, wenn es leer ist?“ fragte Raymond scharf.
„Nein, natürlich nicht.“
„Dann laß dein Feuerzeug in Ruhe! Wir wissen ja noch gar nicht, was wir weiter tun wollen. Vielleicht
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