Der versunkene Wald
sind uns die paar Minuten, die es brennen kann, noch einmal sehr wichtig.“
Es war schon sehr tröstlich, zu wissen, daß sie im äußersten Notfall ein winziges Flämmchen aufleuchten lassen könnten. Diese Gewißheit gab ihnen wieder ein wenig Zuversicht, und Suzanne fand sogar die Kraft zu einem kleinen Scherz.
„Hoffentlich bewahrt uns dein Feuerzeug wenigstens vor dem Schicksal der armen Fische, Pierre!“
„Welcher Fische?“
„Na, der blinden Breitlinge. Ich weiß jetzt schon, daß meine Augen immer kleiner werden, wenn ich noch lange hier in schwarzer Nacht bleiben muß …“
Pierre dachte im stillen, daß das schade wäre, denn Suzanne hatte schöne Augen. Aber er sprach es lieber nicht aus, weil Raymond eine boshafte Bemerkung sicher nicht unterdrückt hätte …
Aber Raymond hatte in diesem Augenblick nicht die geringste Neigung, sich über irgend etwas lustig zu machen. Es war ihm auf einmal erschreckend zum Bewußtsein gekommen, daß er allein an ihrer Lage die Schuld trug. Er, der älteste und von jeher das Oberhaupt, hatte die Gefährten in ein Abenteuer gelockt, das ihnen höchstwahrscheinlich das Leben kosten würde. Zwar hatte Suzanne den Plan ausgeheckt, aber er, Raymond, hatte auf Pierres vernünftige Einwände nicht gehört und ihn dazu überredet, sie zu der verborgenen Treppe zu führen. Mit grausamer Deutlichkeit entsann er sich jedes Wortes, das im Wächtersaal gesprochen worden war.
Er, Raymond Lefevre, trug die ganze Verantwortung gegenüber seinen Eltern und den Eltern der Kameraden. Sie mußten in Todesängsten schweben von dem Augenblick an, in dem sie erfuhren, daß ihre Kinder verschwunden waren, bis zu dem Augenblick, wo man sie fand. Aber würde man sie jemals finden? Aller Wahrscheinlichkeit nach waren sie doch dazu verdammt, hier in der Finsternis elend zu verhungern und zu verdursten. In tausend Jahren vielleicht würde ein Archäologe ihre Skelette entdecken, und der Fund dieser Knochen und des Inhaltes ihrer Taschen würden ihm schwere Probleme aufgeben. Schließlich würde er eine Abhandlung darüber schreiben, daß die Klosterbrüder von Saint-Michel schon zur Zeit des Guillaume de Saint-Pair die Konservendose und die elektrische Taschenlampe gekannt hatten …
Suzannes Gedankengänge waren optimistischer. Deshalb sprach sie ihre Meinung auch laut aus.
„Hört mal, Jungens, wir dürfen jetzt nicht die Flinte ins Korn werfen. Wir haben eine Riesendummheit gemacht, und so, wie es jetzt aussieht, ist es nicht sehr wahrscheinlich, daß wir uns allein wieder heraushelfen können. Aber je länger ich darüber nachdenke, desto sicherer bin ich, daß man uns zu Hilfe kommen wird.“
„Und wie stellst du dir vor, daß uns jemand findet?“ wandte Pierre ein. „Kein Mensch kennt diesen unterirdischen Gang. Ich habe es euch ja gleich gesagt, daß dies kein harmloser Spaziergang werden würde.“
„Suzanne hat recht", mischte Raymond sich ein. „Ich habe nicht gleich daran gedacht, aber es ist ja ganz klar, daß man unser Verschwinden bemerken muß. Man wird Nachforschungen anstellen, man wird die Räder beim ,Mont‘ finden. Es wird sicher Leute geben, die sich erinnern, uns gesehen zu haben, wie wir in die Abtei gingen. Personen wie wir fallen schließlich auf.“
„Das denkst du!“ warf der kleine Jacques ein, der bis jetzt geschwiegen hatte. „Bei dieser Menge von Touristen!“
„Jacques!“ mahnte Suzanne streng. „Unterschätze nicht den nachhaltigen Eindruck, den die Meerkatzen überall hinterlassen! Ich muß dich zur Ordnung rufen. Man wird sich unseres großartigen Aufmarsches bestimmt entsinnen. Man wird den Fremdenführer ausfragen, dem wir weggelaufen sind. Er wird nachdenken, und es wird ihm einfallen, daß er uns zu Anfang der Führung gesehen hat, aber nicht mehr am Schluß. Man wird überlegen, wo wir geblieben sein können, und den Leuten, die sich hier auskennen, wird gewiß auch der Lattenverschlag vor der Treppe in den Sinn kommen. Dann werden sie uns hier suchen. Natürlich mit Lampen und allem, was noch dazugehört. Sie werden rufen, und wir werden sie schon von weitem hören. Dann antworten wir, und sie kommen uns in aller Eile zu Hilfe.“
Suzanne hatte das, was ihrer Meinung nach unbedingt eintreten mußte, mit aller Sicherheit vorgetragen, etwa so, als verkünde sie, zwei und zwei ergäbe vier. In Wirklichkeit konnte es sich tatsächlich so entwickeln, es konnte aber ebensogut auch ganz anders kommen. Damit ihre Spur auf dem Mont
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