Der versunkene Wald
Ich sage doch: Wir werden uns Strom herstellen!“
„Und womit?“
„Mit einem Dynamo, zum Donnerwetter! Mit dem Dynamo von Jeans Fahrrad. Ein Glück, daß er seinen Brotbeutel mitgenommen hat!“
„Ach!“ stieß Raymond verblüfft hervor. Er merkte, daß Pierre ganz und gar nicht verrückt geworden war. „Bloß — wie willst du den Dynamo in Bewegung setzen?“
„Damit werden wir schon zurechtkommen. Die Antriebskraft ist vorhanden, wir sind fünf Leute mit kräftigen Muskeln. Aber wir wollen nicht zu früh triumphieren. Erst müssen wir feststellen, ob der ganze Apparat noch zu brauchen ist. Jean, gib mir bitte den Brotbeutel her.“
Nach einigem Tasten bekam Pierre den Beutel zu fassen und setzte sich auf den Boden, um besser arbeiten zu können. Die anderen hockten sich neben ihn. Es ging nicht ohne einige Zusammenstöße vor sich.
„Raymond, du hast mein Feuerzeug. Du leuchtest mir damit, sobald ich dich darum bitte.“
Raymond erinnerte nicht mehr daran, daß der Brennstoff gespart werden müsse; Pierres Einfall hatte auch ihn gefangengenommen, und es ärgerte ihn, daß er nicht zuerst darauf gekommen war.
Pierre breitete ein Taschentuch auf dem Boden aus und legte nacheinander den Dynamo, die beiden Glühbirnen und das Gewirr der Drähte darauf. Zunächst ordnete er die Drähte und stellte sorgfältig die Verbindungen wieder her. Nur zweimal bat er dabei um Licht, weil er sichergehen wollte, alles richtiggemacht zu haben.
„Das hätten wir“, sagte er dann. „Es kann losgehen. Raymond, du nimmst jetzt bitte den Dynamo ganz fest in deine rechte Hand.“
Er reichte ihn Raymond vorsichtig hinüber. Um jeder Enttäuschung vorzubeugen, fügte er hinzu:
„Das Dumme ist, daß bei den verschiedenen Stößen, die wir abbekommen haben, die Birnen kaputtgegangen sein können.“
Er streckte seine Hände aus, nahm das bewegliche Köpfchen des Dynamos zwischen die Handflächen und drehte es schnell, als knete er einen Teig, bald in die eine, bald in die andere Richtung.
Das Wunder geschah. Die beiden Glühbirnen auf dem Taschentuch leuchteten schwach auf. Es war nur ein zögerndes kleines Glimmen, aber es sdiien ihnen herrlicher als die feenhafteste Illumination eines festlichen Abends.
„Der Strom läuft durch“, sagte Pierre, „wir haben’s geschafft. Jetzt müssen wir etwas erfinden, damit der Dynamo schneller und nicht nur stoßweise arbeitet.“
„Wenn es weiter nichts ist“, sagte Raymond, „das läßt sich einrichten.“
Er hatte — um mit den guten Einfällen nicht zu sehr ins Hintertreffen zu geraten — sich inzwischen den Kopf zerbrochen. Der Vorschlag, den er nun machte, fand sofort Pierres Billigung. Der Dynamo wurde an dem Tornister befestigt, daneben an jeder Seite eine der Glühbirnen. Dann wurde der längste Riemen, den sie besaßen, hinter dem Köpfchen durchgezogen. Raymond nahm in jede Hand ein Ende des Riemens, spannte ihn leicht an und zog ihn dann viel schneller und kräftiger hin und her, als Pierre das mit seinen Händen allein gekonnt hatte. Sofort leuchteten die beiden Birnen hell auf, heller sogar als der Schein der sanft entschlafenen Taschenlampe je gewesen war.
Ein Taumel der Seligkeit brach aus. Immer aufs neue hallte der Siegesruf der Meerkatzen im Echo der unterirdischen Gewölbe wider.
„Hoch lebe das Kraftwerk am Ärmelkanal!“ rief Suzanne.
„Hoch leben die Ingenieure Faugeras junior und Raymond Lefevre!“ fügte Jean hinzu.
Leider hatte das Kraftwerk des Ingenieurs Faugeras junior nicht den Vorteil, mit den Energien der Meeresflut gespeist zu werden, wie das von seinem Vater geplante. Einer der lebenden Motoren mußte den anderen nach fünf Minuten ablösen, um den Betrieb aufrecht zu halten. Sie gönnten sich fast eine halbe Stunde lang das Vergnügen, beständig bei hellem Licht, um ihr elektrisches Lagerfeuer geschart, sitzenzubleiben. Nur derjenige, der jeweils den Riemen bediente, mußte stehen.
Dann ließen sie das Kraftwerk ruhen, und die Unterhaltung wurde im Dunkeln fortgesetzt. Nun sie sich ganz nach Belieben Licht schaffen konnten, bedrückte die Finsternis sie nicht mehr. Die Jungen erzählten Suzanne, wie sie Jean bewußtlos mit der Nase im Gras neben seinem zertrümmerten Rad gefunden hatten und daß der Fahrradhändler in Saint-Jean-le-Thomas ihnen kein anderes Rad hatte leihen wollen.
Raymond streckte die Hand nach dem Riemen aus, ließ einen Lichtstrahl aufleuchten und sah auf die Uhr an seinem Handgelenk. Schon acht Uhr!
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