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Der versunkene Wald

Titel: Der versunkene Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Rouzé
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bequem. Was sie dazu hätten brauchen können, war auf dem Moped geblieben; es gab nur eine einzige Decke für alle zusammen. Sie wurde über Suzanne und die beiden Kleinen gebreitet. Die zwei Großen hatten es reichlich kühl, aber die Abspannung gewann dennoch die Oberhand.
    Wäre jemand eine halbe Stunde später in den unterirdischen Gang eingedrungen, so hätte er nichts als das ungleichmäßige Atmen der fünf Höhlenforscher vernommen. Von Zeit zu Zeit fuhr einer schlaftrunken hoch, gab seiner schmerzenden Schulter eine andere Lage und fiel in neue Angstträume zurück, in denen alle Schrecken des vergangenen Tages wieder auftauchten.

VI. Kapitel
    WAS DRAUSSEN GESCHAH
    Der Telegrafenbote hatte schon zweimal die Glocke am Gartentor gezogen und sich eben entschlossen, den kleinen blauen Umschlag in den Briefkasten zu werfen, als endlich Frau Vieljeux über den blumenumsäumten Pfad herankam.
    „Guten Abend, gnädige Frau. Für Herrn Grellet“, sagte er und reichte das Telegramm durch die Gitterstäbe.
    Dann bestieg er wieder sein Rad und fuhr pfeifend davon, die Hände in den Taschen, was in den Straßen von Avranches selbst für einen geübten Fahrer eine akrobatische Glanzleistung darstellt.
    Frau Vieljeux stieß die Tür des großen Speisezimmers auf, wo sich eben die Familie mit ihren Feriengästen zu Tisch gesetzt hatte.
    „Ein Telegramm !“ meldete sie in feierlichem Ton, in dem ein bißchen Unruhe und ein bißchen Neugierde mitschwangen.
    Für die Familie Vieljeux war ein Telegramm ein außergewöhnliches Benachrichtigungsmittel. Sie brannte also darauf, Näheres über den Inhalt zu erfahren, aber sie nahm sich fest vor, keine Fragen zu stellen, ehe man sie von selber ins Vertrauen zog.
    Herr Grellet schien sehr viel weniger gespannt auf die eilige Botschaft zu sein. Er stellte die Flasche mit Obstwein, die er eben entkorkt hatte, nicht ab, bevor er alle fünf Gläser gefüllt hatte. Dann rückte er seine Brille zurecht, öffnete das Telegramm und hielt es unter das Licht, um besser lesen zu können.
    „Nun?“ fragte seine Frau.
    „Tja, unsere Ferien sind zu Ende, oder wenigstens meine. Mein Kompagnon ist plötzlich krank geworden, und man hat ihn zu einer Operation ins Krankenhaus gebracht. Ich muß sofort zurück.“
    „Was? Etwa schon morgen?“
    „Noch heute abend. Ich fahre gleich nach dem Essen, damit ich morgen früh in Paris bin. Es ist besser, wenn ich schon bei Geschäftsbeginn nach dem Rechten sehen kann.“
    „Wie du denkst. Ich fahre natürlich mit. Laß mir nur eine halbe Stunde zum Packen.“
    „Aber kannst du denn nicht die Woche über noch dableiben, Lucienne?“ flehte Frau Vieljeux ganz unglücklich. „So war es doch geplant! Dein Mann wird in den acht Tagen schon allein zurechtkommen.“
    „Mein Mann? Da kennst du ihn schlecht. Er würde sich von alten Brotkanten und Konserven ernähren oder ins Restaurant gehen und sich dort vergiften lassen. Ich habe keine Lust, ihn mit einem Gallenanfall vorzufinden, wenn ich nach Hause komme.“
    „Und Suzanne?“
    „Sie wird ja da sein, bevor wir mit dem Essen fertig sind. Wenn nicht, fahren wir über Courtils und holen sie ab. Wenn sie mitwill, laden wir sie mitsamt ihrem Rad auf. Wenn sie lieber noch in Avranches bleiben möchte, mußt du so gut sein, sie Ende des Monats in den Zug zu setzen.“
    Frau Vieljeux war äußerst verstimmt, aber sie wagte nichts mehr zu sagen. Der alljährliche Besuch von Schwester und Schwager war ihre größte Freude; es war ein Jammer, daß er dieses Mal so kurz sein sollte. Sie hoffte, daß wenigstens Suzanne sich entschließen würde, in Avranches zu bleiben, statt mit den Eltern nach Hause zu fahren. André hatte sich in die Unterhaltung nicht eingemischt, aber er wünschte ebenso wie seine Mutter, daß Suzanne noch nicht abreiste. Während der halben Stunde, die das Abendessen dauerte, lauschte er auf alle Geräusche von draußen und hoffte jeden Augenblick:, Suzannes Fahrradklingel am Gartentor zu hören. Wenn Suzanne doch nur rechtzeitig zurückkäme! Dann würde es ihm schon gelingen, sie zum Bleiben zu überreden!
    Aber der Uhrzeiger rückte vor, und Suzanne erschien nicht. Ihre Eltern beunruhigte das wenig. Wahrscheinlich hatte Suzanne in Courtils mit den Jungen zu Abend gegessen; zur Nacht würde sie sich auf den Heimweg machen. Die Koffer waren schnell gepackt, und während Herr Grellet den Wagen aus der Garage holte, nahmen die beiden Schwestern Abschied voneinander.
    „Ich habe Suzannes

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