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Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Titel: Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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konnte sie sich noch auf etwas freuen, wenn er wieder gegangen war, dachte sie. Valerie hatte gelernt, ihr Glück einzuteilen und portionsweise zu genießen.
    »Ganz wie du willst.« Sein Blick fiel auf fellgefütterte Canadian Boots. Sie stammten von dem Vorschuss auf Valeries neuen Lohn. »Wie dumm. Ich habe die Wanderstiefel vergessen, die du mir am Samstag gegeben hast.«
    »Macht nichts. Goodens vermisst sie bestimmt nicht.«
    »Soll ich sie holen? Ich habe es ja nicht weit.«
    »Nein, das hat Zeit.«
    Valerie trug noch ihr rotes Top. Im Sonnenstudio hatte es begehrliche Blicke auf sich gezogen, na ja, weniger das Top als das, was es bedeckte. Johan hatte nur einen dünnen Mantel an. Sie hängte ihn an die Garderobe. Dann bemerkte sie, dass er zu der Tür mit dem »No admittance«-Schild schielte.
    »Sheila ist unterwegs«, sagte sie. »Ich habe ihr Geld für eine Pizza gegeben, als Ersatz fürs Abendessen.« Sie wollte hinzusetzen, dass sie ungestört seien, ließ es dann aber. Johan war kein Mann für Anspielungen.
    Ein paar stumme Sekunden verstrichen. Johan machte keine Anstalten, sich von der Stelle zu bewegen. Es bedurfte ihrer ausdrücklichen Aufforderung, damit er die Wohnung betrat. Valerie ging zum Couchtisch. Er folgte ihr zögerlich. Sie reichte ihm die Proseccoflasche, die sie auf dem Rückweg vom Sonnenstudio gekauft hatte. Er öffnete sie umständlich und füllte die bereitstehenden Sektgläser, vorsichtig, um nichts zu verschütten.
    »Auf uns«, sagte Valerie und prostete ihm zu.
    »Auf dich und mich.«
    Johan trank das ganze Glas leer. Dann setzte er sich in einen Sessel. Der Abstand zwischen ihr und ihm war so groß, als erwarte er noch einen Gast. Valerie nahm auf der Mitte der Couch Platz. Dieses steife Abtasten besaß einen eigentümlichen Reiz. Sie kam sich vor wie bei ihrem ersten Rendezvous. Der Junge, den sie damals angehimmelt hatte, war mit einer Flasche Sekt erschienen. Ihre Eltern hatten nach Valeries tagelangen Bitten das Feld geräumt und waren ausgegangen, obwohl sie das sonst so gut wie nie getan hatten. Es war nicht viel passiert. Valeries Eltern hatten einen Videorekorder besessen, damals eine Seltenheit. Das Interesse des Jungen war von einem der drei Filme abgelenkt gewesen, die sie auf Kassette besaßen. Valerie hatte den süßlichen Sekt fast ganz allein getrunken.
    Sie schenkte Johan Prosecco nach. Er schaute sich aufmerksam um. Dann setzte er sich zu Valerie auf die Couch. Es war ein Dreisitzer aus schwarzem Kunstleder. Sie hatte das Material mit einem speziellen Mittel gereinigt, um ihm etwas von seinem ursprünglichen Glanz zurückzugeben. Ein anderer Ort, dachte sie, machte es Johan vielleicht leichter. Die Matratze in ihrem Schlafzimmer erschien ihr ungeeignet für einen zweiten Anlauf.
    Allerdings verband sie keine angenehmen Erinnerungen mit dieser Couch. Aber sie konnte ja nicht die gesamte Einrichtung ersetzen. Der Platz, auf dem Jef immer gesessen hatte, wies einige abgewetzte Stellen auf. An der Armlehne befand sich ein Loch von der Größe einer kleinen Münze. Valerie hatte es mit schwarzem Benzinstift ausgemalt, es war kaum zu sehen. Nur wenn man mit dem Finger darüberstrich, spürte man eine Unebenheit. Glücklicherweise saß Johan auf der anderen Seite.
    Wen würde ihre Tochter einmal nach Hause mitbringen? Und wo setzten sie sich hin? Vielleicht auf den Boden, wie es Sheilas Angewohnheit war? Bequemlichkeit spielte in ihrem Alter keine große Rolle.
    Johan rutschte unruhig hin und her, als wollte er die Federung testen. Schließlich schien er zufrieden zu sein und lehnte sich zurück. Er wirkte wie jemand, der sich mit einer ungewohnten Umgebung vertraut gemacht hatte.
    »Keine Geheimnisse«, sagte er plötzlich und stieß erneut mit Valerie an.
    Sie nickte ernst. Bevor er weiterreden konnte, begann sie zu erzählen.

    Raupach stand auf der Aussichtsplattform des Schokoladenmuseums und beugte sich über das Geländer. Er musste an ein Oberdeck denken, weil das Gebäude auf der Rheinauhalbinsel wie ein Schiff geformt war. Der Bug lag flussabwärts.
    Viele Ereignisse ließen Köln völlig unberührt. Der erste und zweite Schiller-Brief waren wie ein Kuriosum aufgenommen worden. Als amüsierte es die Leute, ins Blickfeld eines Verrückten geraten zu sein. Das hob den Stellenwert der Stadt, brachte sie in die Schlagzeilen und verlieh ihr den Rang einer internationalen Metropole, die ein außergewöhnlicher Krimineller als würdiges Ziel erachtete.
    Tiedkes

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