Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
starrte ihn einen Augenblick überrascht an. Dann prustete sie los. »Und die Schulden soll ich wohl auch übernehmen? Na danke schön.« Valerie erbrach eine Geldrolle und verteilte die Münzen in der Kasse. »Die Band war immer ein Zuschussbetrieb. Was meinen Sie, wovon die ihre laufenden Kosten bezahlt haben?«
»Sagen Sie es mir?«
»Wir hatten nie etwas übrig«, sagte sie verbittert. »Ich konnte verdienen, wie viel ich wollte. Alles floss in diese verdammte Band. Lautsprecher, Verstärker, die Instrumente. Wenn Sie es genau wissen möchten: Ja, ich profitiere davon, dass es Barbarossa nicht mehr gibt. Jetzt kann ich das, was ich hier im Studio bekomme, einzig und allein für mich und meine Tochter verwenden.« Sie holte Luft. »Und ich wünsche Gunter beste Gesundheit. Solange er lebt, wenden sich die Gläubiger an ihn.«
»Wie hoch sind die Verbindlichkeiten?«
»An die zwanzigtausend Euro. Dafür stehe ich bestimmt nicht gerade, das können Sie mir glauben«, sagte Valerie, während sie sich eine Cola aus dem Getränkeautomaten holte. »Sie suchen doch nach Motiven. Wenn ich Gunter wäre, würde ich mich auch nicht mehr blicken lassen. An seiner Stelle wäre ich gleich ganz aus der Stadt verschwunden.« Sie nahm einen Schluck aus dem Plastikbecher und stützte sich mit verschränkten Arme auf die Theke.
»Was haben Sie in der Nacht von Sonntag auf Montag um 0 Uhr 30 getan?«
»Denken Sie, ich habe das Apollo angezündet?«
»Ich muss Ihr Alibi überprüfen, Frau Braq.«
»Dürfen Sie mich das eigentlich fragen? Ich dachte, Sie sind nicht als Polizist hier?«
»Ich bin beurlaubt«, gab Raupach zu. »Würden Sie mir trotzdem antworten?«
»Sagen Sie Ihren Verdächtigen immer die Wahrheit?«
»Ich versuche es.« Er wartete einen Augenblick. »Also? Achter Dezember, 0 Uhr 30.«
Valerie schaute zur Seite und fragte sich, warum sie überhaupt mit diesem Kommissar sprach. Anscheinend steckte er selber in Schwierigkeiten. Aber er hatte sie bisher fair behandelt und nicht versucht, sie aufs Glatteis zu führen oder unter Druck zu setzen. Sie beugte sich zu ihm vor.
»Was meinen Sie, was eine allein stehende Frau wie ich so treibt, nachdem sie ihren Haushalt für die Woche klargemacht hat? Ich habe eine nette Musik eingelegt und mich bei einem Glas Wein entspannt. Ich trinke gerne etwas, um mich in die richtige Stimmung zu versetzen. Wenn Sie wissen, was ich damit meine.« Sie sah ihn herausfordernd an.
»War Ihre Tochter zu Hause?«
»Ja, aber ich habe sie nicht geweckt, damit sie mir dabei zusieht«, sagte sie schroff.
Das Telefon klingelte. Valerie blickte zu Boden. Sie versuchte, ihren Ärger zu unterdrücken. Im Callcenter war das an der Tagesordnung gewesen. Dann nahm sie den Hörer und zwang sich zu einem Lächeln. Als sie den Anrufer erkannte, wurde ihr Lächeln echt. »Du machst früher Schluss? – Sheila ist um diese Zeit bestimmt in der Stadt. Sie treibt sich wieder viel herum.«
Raupach deutete durchs Schaufenster einen Gruß an. Auf dem Weg zur Haltestelle Ulrepforte kaufte er sich ein Brötchen mit Räuchermatjes. Dann nahm er die 16. Am Neumarkt wollte er umsteigen.
Die Bahn war so gut wie leer. Der Schock der Kölner wegen des Anschlags auf die Linie 5 war frisch und saß entsprechend tief. Ein älterer Mann beäugte den Kommissar eine Weile. Dann schnauzte er ihn an, dass er seine Hände gefälligst aus den Jackentaschen nehmen solle, damit man sie sehen könne.
Raupach tat wie geheißen. »Wollen Sie mich nach einem Brandsatz durchsuchen?«
Der Mann wirkte bei weitem nicht so souverän, wie seine Worte vermuten ließen. Während er sprach, rötete sich sein Gesicht, seine Gesten waren fahrig. »In diesen Zeiten kann man nicht vorsichtig genug sein«, brummte er halb zur Entschuldigung.
»Ich mache Ihnen keinen Vorwurf«, sagte Raupach. »Passen Sie weiter gut auf.«
Nun verlor der Mann vollends die Sicherheit. »Was ist mit Ihnen? Haben Sie keine Angst?«
»Doch.«
»Und was tun Sie dagegen?«
»Ich stürze mich in meine Arbeit.«
Wann hatte Valerie von einem Mann zuletzt ein Geschenk erhalten? Einfach so, ohne besonderen Anlass?
»Ein verspäteter Nikolaus«, sagte Johan und reichte ihr ein Buch, das zu ihr passte. Es war einfach gewesen, das herauszufinden. Ein Historienroman, der in einer idealisierten Vergangenheit spielte, unverfänglich weit von der Gegenwart entfernt.
»Ist es dir recht, wenn ich es später auspacke?«, fragte sie und ließ ihn eintreten. Dann
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