Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
Wandverkleidung, die ihn immer an die Unterteilungen eines Großraumbüros erinnert hatte. »Im Grunde habe ich mich hier nie wohlgefühlt, trotz deiner geschätzten Anwesenheit.«
»Gut, dass du das endlich einsiehst.« Sie legte den Kiesel auf die Akte »Marta Tobisch«.
»Besser spät als nie«, erwiderte er.
»Und was willst du jetzt tun?«
»Ich mache weiter, was sonst?« Raupach setzte sich auf die Kante des Schreibtischs und zündete sich eine Zigarette an. Das war im Archiv streng untersagt, obwohl es eine leistungsstarke Entlüftung gab. »Woytas hat alle Hebel in Bewegung gesetzt, aber Aalund ist immer noch unauffindbar.« Er steckte die restlichen Zigaretten in seine Jackentasche und aschte in die Packung. »Wir müssen den Brandstifter finden. Ich kann keine Rücksicht auf fremde Eitelkeiten und Himmerichs Personalpolitik nehmen.«
»Lands Alibis sind nichts wert.« Photini kam auf das Gespräch in der Buchhandlung zurück. »Er war heute Morgen so abweisend, dass es schon an Unvernunft grenzte.«
»Du bist störrisch wie ein alter Esel. Lege dich nicht fest wie Woytas. Ich glaube nicht, dass wir in einem Alibi Antworten finden, auch nicht in einem falschen.«
»Die Zeit rennt uns davon, Raupach! Glaub mir, mit Johan Land stimmt etwas nicht.«
»Dein Gefühl?«
Photini nickte. »Ein starkes.«
»Sag es Woytas.«
»Hab ich. Du hast es doch auch schon versucht, sogar Heide. Er denkt, der Verdacht sei an den Haaren herbeigezogen.«
»Dann ist ihm nicht zu helfen. Wer Türen zuknallt, braucht sich nicht zu wundern, wenn sie irgendwann klemmen.« Genüsslich blies er den Rauch an die Decke. »Ich werde noch einmal mit Valerie Braq sprechen. Sie war im Apollo-Kino, als Materlink getötet wurde.«
»Das fällt unter Amtsmissbrauch. Dann hast du keine Chance mehr, auf legalem Weg in den Dienst zurückzukehren.«
»Danke für den Hinweis.«
»Du weißt, wie’s gemeint ist.«
»Wer den Fuß auf eine Spur setzt, hat sich von allen anderen Wegen zwischen Himmel und Erde entfernt.« Er drückte die Zigarette in der Packung aus und warf sie in den Papierkorb.
»Ein schöner Nachruf.«
»Bleiben wir in Kontakt?«
»Ist das ein Beziehungsgespräch?«
»So was Ähnliches.«
Sie stand auf und küsste Raupach fest auf beide Wangen. »Du kannst auf mich zählen.«
»Danke, Frau Kommissarin.«
Sie trat etwas zurück. »Wir stehen knapp davor.«
»Der letzte Schritt ist immer der schwerste. Wir brauchen Erkenntnisse, keine Vermutungen.«
»Verstanden, Boss.«
»Mach’s gut, Fofó.« Er nahm den Umzugskarton. Photini wollte ihm die Tür aufhalten. »Bleib hier. Ich finde den Weg allein.«
Als er gegangen war, wog Photini den Kiesel eine Weile in der Hand. Dann legte sie ihn zurück auf Raupachs leeren Schreibtisch. Sie hatte nicht verstanden, was er mit diesem Stein bezweckt hatte. Esoterische Anwandlungen lagen Raupach fern. Der Stein war nicht einmal besonders dekorativ. Doch je länger sie sich in seinen Anblick vertiefte, desto ruhiger und nachdenklicher wurde sie. Die Form des Steins war nur eine Fassung, eine räumliche Begrenzung. Wenn man so wollte, war er ein Körper, der einen bestimmten Platz im Raum einnahm. Auf den ersten Blick wies nichts auf sein wahres Gewicht hin. Er könnte auch aus täuschend echtem Kunststoff sein. Oder aus Holz, das entsprechend bearbeitet und koloriert war. Etwas so augenfällig Schlichtes war leicht nachzuahmen. Der Stein wirkte solide und wandelbar zugleich.
Schließlich machte sie sich einen Kaffee, der Toten den Magen umdrehen konnte. Sie entnahm ihrer Tasche die Verlagsprospekte aus der Buchhandlung und begann sie mit dem ersten Brief zu vergleichen. Wohltätig ist des Feuers Macht.
9. Dezember
Platzangst durfte man hier nicht haben, fand Raupach und betätigte den Start-Schalter. Seine Kleidungsstücke lagen auf einem Stuhl. Die bräunungswirksamen Anteile des UV-Spektrums ergossen sich über seinen nackten Körper. Es kribbelte.
Schon nach kurzer Zeit wich seine Skepsis einem umfassenden Wohlbehagen. Eine Sonnenbank war der sicherste und behaglichste Ort auf der Welt. Wo sonst konnte man bedenkenlos die Augen schließen und die Gliedmaßen von sich strecken, umhüllt von Wärme und Glas?
Auf Valerie Braqs Rat hatte er ein schwaches Gerät gewählt. Sie schien ihren Beruf ernst zu nehmen, hatte ihm alle Funktionen genau erklärt. Über seine Anwesenheit war sie nicht gerade begeistert, obwohl sie ihm vor vier Tagen den Bräunungsgutschein geschenkt
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