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Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Titel: Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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Tod und die allmählich durchsickernden Umstände der anderen Morde hatten die Stimmung umschlagen lassen. »Im Untergrund ist kein Entrinnen«, titelte eine Zeitung und druckte eine Liste von Vorfällen ab, die zum Teil auf das Konto fanatischer Sektenführer und politisch motivierter Attentäter gingen. Die Terroranschläge von Madrid und London waren den Menschen am stärksten im Gedächtnis. Aber schon 1995 hatte die Aum-Sekte in der U-Bahn von Tokio zugeschlagen. 1996 war es in der Metro von Moskau zu einer Bombenexplosion gekommen. Auf die unterirdische RER-Schnellbahn in Paris hatte es gleich mehrere Anschläge gegeben. Überhaupt Paris: Die derzeitigen Unruhen in den Vorstädten nahmen zu, es kam immer wieder zu Bränden. Und im Jahre 2003 hatte ein geistig Verwirrter in der U-Bahn der südkoreanischen Stadt Daegu ein verheerendes Feuer ausgelöst.
    Viele Menschen benutzten ihr Auto, um in die Innenstadt zu gelangen, Gürtel, Ring und die Zufahrtstraßen waren durch das erhöhte Verkaufsaufkommen immer häufiger verstopft. Trotz der kalten Witterung stiegen eine Menge Leute aufs Fahrrad um. Das Misstrauen wuchs, das Alltagsverhalten änderte sich. Die Menschen musterten einander und betrachteten jeden, der in der U-Bahn ein Buch las, mit kritischen Blicken. Von einer Panik waren sie allerdings noch weit entfernt. Die Kölner waren pragmatisch genug anzunehmen, dass es immer auch einen anderen treffen konnte.
    Die Linie 5 hatte den Betrieb wieder aufgenommen. Fast jede Bahn fuhr leer. Eine Diskussion über Fahrtbegleiter war entbrannt. Die Polizei besaß zu wenig ausgebildetes Bereitschaftspersonal, um alle 360 im Einsatz befindlichen Triebwagen mit Zweierteams zu überwachen. Die Kölner Verkehrs-Betriebe favorisierten einen privaten Sicherheitsdienst, dessen Mitarbeiter jedoch keine Waffe tragen durften. Die Feuerwehr war notorisch knapp bei Kasse, die Stadt Köln und das Land Nordrhein-Westfalen erst recht. Ein ehrgeiziger Politiker, der sich Chancen bei der nächsten Bürgermeisterwahl ausrechnete, forderte den Einsatz der Bundeswehr, was die Bundesregierung unter Hinweis auf die Gewaltenteilung zwischen Innerem und Äußerem entschieden zurückwies. Die Talkshow-Redaktionen suchten nach Studiogästen, die meinten, zu diesem Thema etwas sagen zu müssen. Die Auswahl an Kandidaten war groß. Den Autovermietungen gingen die Leihwagen aus.
    Dies alles vollzog sich innerhalb weniger Stunden. Es war der Anfang eines Flächenbrandes, bestens dazu geeignet, weitere Anschläge heraufzubeschwören. Von wem auch immer.
    Ein eisiger Wind blies über den Fluss. Lang gezogene Lastschiffe krochen wie vorzeitliche Amphibien über den Strom, so zielstrebig, als wollten sie in der Kälte nicht unnötig Energie vergeuden. Raupach drehte sich um. Ein junges Pärchen saß eng umschlungen auf einer Bank. Der Junge hatte dunkles, leicht gewelltes Haar. Es starrte vor Gel. Seine Koteletten gingen bis über die Backen. Von allem zu viel, dachte Raupach, die Unsicherheit der Jugend. Wenn Koteletten zu schmalen Streifen rasiert waren, umrahmten sie ein Gesicht, unterstrichen die Schädelform und sahen nicht aus wie angeklebt.
    Laurent Siklossys Aussage stahl sich in Raupachs Gedanken, gefolgt von einem Mann, der eine Eskimomütze abnahm. Er hatte rote Streifen an den Ohren.

    Die Stehlampe neben der Couch spendete ein angenehmes, indirektes Licht. Johan betrachtete seine Fingernägel. Er hatte sie geschnitten und gefeilt, bevor er zu Valerie gekommen war. Seine Handflächen glichen unbeschrifteten Landkarten. Er rieb sie aneinander und gab etwas Olivenöl darauf. Dann legte er die Hände auf Valeries Nacken und strich langsam an beiden Seiten des Rückgrats entlang, ohne ihre Wirbelsäule zu berühren.
    Die Narben befanden sich vor allem auf ihren Schulterblättern. Diese Stellen ließ er vorläufig aus. Er begann mit der Muskulatur über den hinteren Rippen und den Nieren. Unter gleich bleibendem Druck rollte er das Fleisch unter seinem Handballen weg.
    »Ist das gut?«, fragte er.
    »Ich spüre kaum etwas. Wahrscheinlich bin ich total verspannt.«
    »Verspannungen erfüllen einen Zweck.«
    »Wie meinst du das?«
    »Sie beschützen dich vor deinen Erinnerungen.«
    »Dann solltest du Acht geben«, sagte sie und lachte unsicher.
    »Das tue ich.«
    Als Valerie ins Reden gekommen war, hatte sie sich unwillkürlich auf der Couch ausgestreckt und seinen Oberschenkel als Kopfstütze benutzt. Daraufhin waren Johans Hemmungen von ihm

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