Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
Mörder, wenn man bei diesem Fall Wert auf die chronologische Reihenfolge legte.
»Vier Mörder, die aber untereinander keine Komplizen waren«, sagte ein Mann vom Stadt-Anzeiger. »Finden Sie das nicht ungewöhnlich?«
»Es ist nur eine Zahl. Jeder dieser Fälle hat seine eigene Erklärung. Die Wege der Mörder haben sich gekreuzt. Ob das ungewöhnlich ist oder ob mehr dahintersteckt, überlasse ich Ihrer Phantasie.«
»Vielleicht zieht ein Verbrechen ein anderes an?«, fragte der Journalist.
»Das wollen wir nicht hoffen. Sonst müsste die Mordrate steigen.«
»Tut sie das nicht?«
»Nicht, wenn die Polizei etwas dagegen unternimmt«, erwiderte Raupach.
»Ist es wirklich so einfach?«
»Es ist nicht leicht, wenn Sie das meinen.«
Befreites Lachen. Die Medien hatten ihre Schlagzeilen.
Himmerich überschlug sich vor Glückwünschen. Nach der Pressekonferenz bot er Raupach die Leitung der Kölner Mordkommissionen an.
»Aus welchem Grund?«, fragte der Kommissar.
»Sie haben den Fall aufgeklärt.«
»Ich konnte keinen Mord verhindern.«
»Das ist auch gar nicht Ihre Aufgabe.«
Raupach hoffte, dass Himmerichs Tage als Polizeipräsident gezählt waren. Tatsächlich wurde Himmerich versetzt. Im Innenministerium konnte er weniger Schaden anrichten. Woytas wurde wieder normaler Hauptkommissar. Das Amt des Ersten KHK blieb bis auf weiteres vakant. Raupach nahm die Leitung der Mordkommission schließlich an. Auf Photinis Rat. Damit sie ihre Fälle künftig ohne Heimlichtuerei lösen konnten.
Dann holte er Weihnachten nach. Er fuhr zu Tante Luise nach Rodenkirchen. Heide nahm er mit, sie konnte etwas Abwechslung gebrauchen. Die beiden Frauen spielten bis zum Morgengrauen Backgammon, ein Zeitvertreib, von dem Raupach gedacht hatte, dass ihm nur seine verschrobene Tante etwas abgewinnen konnte. Die vielen Spielsteine verwirrten ihn.
Luise Raupach war 72 und schrieb seit Jahrzehnten eine Partnerschaftskolumne für eine Frauenzeitschrift. Es war der erfolgreichste Text des ganzen Heftes. Da sie noch ein paar schräge Formulierungen für die Neujahrsausgabe brauchte, unterhielt sie sich mit Heide pausenlos über Männer.
Diese Kombination, Backgammon und frühere Eroberungen, trieb Raupach an den Rhein. Dort ging er die Uferstraße stundenlang auf und ab und suchte nach passenden Motiven. Heide hatte ihm eine Staffelei geschenkt. Er malte ein Bild mit dem Fluss in der Mitte und Köln zu beiden Seiten, darüber einen hohen, nicht endenden Himmel.
Tante Luise freute sich trotzdem, dass er gekommen war. Aus ihrer Tiefkühltruhe zauberte sie eine Ente hervor und bereitete sie nach allen Regeln der Kunst zu. Heide vergaß Paul. Und Raupach dachte nicht mehr an Katharina oder Clarissa, an die nahe oder die ferne Vergangenheit. Tante Luise sah den beiden dabei zu, wie sie sich satt aßen. Das schien selten vorzukommen. Als sie beim Portwein angekommen waren, brachten sie keinen Ton mehr hervor. Sie genossen das Schweigen.
Aus der weißen Weihnacht war nichts geworden. Raupachs Bild zeigte die Landschaft so, wie sie den größten Teil des Jahres über war, unscharf und grau.
Einen Tag später kam Photini nach Rodenkirchen. Sie hatte einen Brief dabei, Johans letzten. Er hatte ihn kurz vor seinem Selbstmord aufgegeben.
Leergebrannt
Ist die Stätte,
Wilder Stürme rauhes Bette,
In den öden Fensterhöhlen
Wohnt das Grauen,
Und des Himmels Wolken schauen
Hoch hinein.
»Was hat sich Johan Land wohl am meisten gewünscht?«, fragte Photini.
»Freiheit.« Raupach las die Zeilen noch einmal. Dann warf er den Brief ins Kaminfeuer.
»Das ist ein Beweisstück!«
»Jetzt nicht mehr.«
Über Thomas Kastura
Thomas Kastura wurde 1966 in Bamberg geboren. Mit sechzehn übersetzte er "Das Tolkien-Mittelerde-Quizbuch" - seine erste literarische Tätigkeit. Er studierte Germanistik und Geschichte und arbeitet im Anschluss als Journalist. Eine kurze Karriere als Multimedia-Performance-Künstler brach er wegen drohenden Bankrotts ab. 1998 wandte er sich neben seinen journalistischen Arbeiten dem Schreiben von Büchern zu. Außerdem verfasst Kastura das wöchentliche Literaturrätsel für den Bayerischen Rundfunk. Er lebt mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern in Bamberg, verbringt aber auch regelmäßig Zeit in Köln, um für seine Raupach-Romane zu recherchieren.
Über dieses Buch
Kryptische Drohbriefe, die den grausamen Tod vieler Menschen ankündigen, rätselhafte Morde an den Mitgliedern einer Band und ein ungleiches
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