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Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Titel: Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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hineinzuschaufeln.
    »Benzol«, sagte Heide und tippte mit dem Fingernagel gegen Photinis Wasserflasche. Sie stand auf, um sich noch ein Kölsch zu holen. Als sie an den Motorradstreifen vorbeiging, deutete sie auf einen halb leeren Teller: »Aufessen. Sonst wird das Wetter schlecht.«

    Valerie verliess das Gebäude und schaute zur dritten Etage hoch. Dort befand sich das Callcenter. Es war nicht zu erkennen, was hinter den Lamellenvorhängen vor sich ging. Zum ersten Mal wurde sie sich dessen bewusst. Niemand hatte eine Ahnung, welche Geschäfte da oben abgewickelt wurden. Und mit wem.
    Sie ging in die nächstgelegene Kneipe. Davon gab es im Agnesviertel ziemlich viele, aber sie war noch nie auf den Gedanken gekommen, hier auszugehen. Das Lokal, in dem sie für den Rest des Tages strandete, hatte von zehn bis vierundzwanzig Uhr geöffnet. Der Name war irgendwas auf Kölsch, »Em schwatten Pütz« oder so ähnlich, sie machte sich nicht die Mühe, die verschnörkelten Buchstaben zu entziffern. Valerie stammte aus Osten. Das war ein kleiner Ort zwischen Bremen und Hamburg, grob gesagt. In Osten machte man wenig Worte.
    Sie bestellte Kaffee mit Cognac. Statt Cognac kam ein Glas Weinbrand. Die Bedienung erkundigte sich nach ihrem Vornamen, um den Getränkeverbrauch auf einem Bierdeckel zu notieren. Sie war in Valeries Alter, aber ihr verlebtes Gesicht hätte auch einer Sechzigjährigen gehören können. Aus ihrem Blick sprach das Mitgefühl einer Geistesverwandten. Während des ersten Weinbrands nahm sich Valerie vor, niemals so aussehen zu wollen. Sogleich bedauerte sie ihre Gehässigkeit.
    Machinek würde sie in der Branche anschwärzen, sagte sie sich. Sie hatte überreagiert. Bestimmt lag das an ihrem Kater, da neigte sie zu Gefühlsaussbrüchen. Was war bloß in sie gefahren? Der Job war zwar anstrengend und schlecht bezahlt, aber immerhin lag ihr Verdienst bei vierzehnhundert Euro netto. Davon konnten sie und Sheila leben. Es war nicht die Welt, aber es reichte aus. Hatte ausgereicht. Jetzt musste sie Stütze beantragen, wenn sie nichts Neues fand. Dazu war sie noch nie gezwungen gewesen. Es widerstrebte ihr, dem Staat auf der Tasche zu liegen. Wenn Sheila nicht wäre, würde sie sich schon durchzuschlagen wissen. Mit einer halbwüchsigen Tochter, der sie nach Jefs Tod mehr denn je ein Vorbild sein wollte, hatte sie jedoch keine andere Wahl.
    Valerie wusste nicht, ob es am Koffein oder am Alkohol lag, aber langsam fühlte sie sich besser. Sie hörte auf, ihr Verhalten zu bereuen. Diese alte Ziege war doch von gestern, nicht zu fassen, dass solche Gestalten immer noch frei herumliefen. Dabei hatte sie schon ganz andere Exemplare in der Leitung gehabt. Unglaublich, wie viele Leute sich mit dem Gedanken trugen, andere auszurotten – und sich bemüßigt fühlten, es Valerie in aller Länge und Breite mitzuteilen. Sie fühlte sich keiner Minderheit zugehörig. Aber wenn sie diese Typen reden hörte, war sie nicht mehr sicher. Ihr Vater war Nordfriese, ihre Mutter kam aus Stettin. Jef war gebürtiger Maastrichter aus Holland, seine Eltern waren in den siebziger Jahren nach Cuxhaven übergesiedelt. Was war Valerie demzufolge? Deutsch, dachte sie, so stand es in ihrem Pass. Abgesehen von den Behörden hatte das bisher niemanden interessiert.
    Jedenfalls wäre es der Gipfel gewesen, wenn sie der Alten das hätte durchgehen lassen. Verdammt, sie hatte jetzt alle Möglichkeiten! Die Ermittlung im Todesfall Jef Braq war endgültig eingestellt worden, niemand wollte sie noch ernsthaft belangen. Selbst Gunter, der eine Zeit lang aufgetaucht war, um sich zu »kümmern«, wie er sagte, hatte sich seit Monaten nicht mehr blicken lassen, obwohl sie ihn hin und wieder im Viertel sah. Die anderen Mitglieder von Jefs alter Band waren in alle Winde verstreut. Raimund durfte den Tourbus behalten und spielte in einer neuen Gruppe. Chris fuhr wieder U-Bahn für die Kölner Verkehrs-Betriebe. Und Ronny, der sich als Manager von Barbarossa aufgespielt hatte, legte als DJ auf. Jeder auf seine Art ein Versager, außer vielleicht Chris, der Netteste der Truppe.
    Valerie konnte sich auch woanders einen Job suchen, sie konnte Köln verlassen, zusammen mit Sheila, die an ihrer Schule ohnehin nicht besonders glücklich war. Sie konnten in eine kleinere Stadt ziehen, wo das Leben beschaulicher und vor allem billiger war. Ein Ortswechsel würde die Geister der Vergangenheit vielleicht endgültig zum Schweigen bringen. Allmählich schien sich in

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