Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
auch noch ein Bier?«
»Wenn du so freundlich wärst.«
Sie wählte eine Nummer aus dem Speicher, rutschte mit ihrem Stuhl zum Kühlschrank und stellte zwei neue Flaschen auf den Tisch. Bevor sie die Kronkorken mit Raupachs Feuerzeug abhebeln konnte, bekam sie eine Verbindung. Sie tat geheimnisvoll, redete um die Sache herum. Nach einer Weile hatte sie ihre Gesprächspartnerin neugierig gemacht und übermittelte ihr, was Raupach vorgeschlagen hatte. Eine Zeile und nicht mehr. Von dem Feuer auf dem Kinderspielplatz sagte sie nichts. Dann beendete sie das Gespräch.
»Wen hast du eingeweiht?«, fragte Raupach.
»Jemanden vom Radio. Die Frau hält dicht, darauf kannst du dich verlassen.«
»Wenn rauskommt, was du so alles rumerzählst, kriegst du Schwierigkeiten«, gab er zu bedenken.
»Nicht mehr, als ich ohnehin schon habe.« Heide öffnete die Bierflaschen und grinste schief. Sie prosteten sich zu. »Aber da ist noch etwas«, sagte sie. »Etwas, was mir richtig Sorgen macht.« Sie hatte die Information absichtlich zurückgehalten, um zuerst Raupachs Meinung über den neuen Brief zu hören. »Heute vormittag wurde die Leiche eines 32-jährigen Mannes in Longerich gefunden. In einer Unterführung.«
Raupach hob den Kopf.
»Richtig, unter der Erde. Allerdings gab es keinen Brand oder so etwas, sonst hätte ich es dir schon früher erzählt. Eins nach dem anderen, wie du sagst.« Sie griff in ihren Wollmantel, holte einen Umschlag hervor und reichte ihm ein Foto. »Er war schon seit etwa drei Tagen tot. Anscheinend wurde er dort hingelegt, als die Verwesung schon im Gange war.«
Er betrachtete das Bild. Der Mann sah nichts sagend aus, wie die meisten Toten. Vermutlich lag es an den geschlossenen Augen. Bei diesem kam noch hinzu, dass er einen kahl rasierten Schädel hatte. Starker Bartschatten, eine kurze, leicht nach oben gebogene Nase. Die Stirn war kantig wie bei einer grob behauenen Skulptur.
»Hinweise auf Gewaltanwendung?«
»Jemand hat ihm das Genick gebrochen.«
Unwillkürlich fiel sein Blick auf Heides Adamsapfel. »Dazu braucht man viel Kraft.«
»Und man muss wissen, wie es geht«, ergänzte sie. »Außer einem Trägerhemd war der Mann nackt. Wir haben ein paar Spuren: Blut an seinem Hals – das nicht von ihm stammt. Und jede Menge fremde Hautpartikel. Außerdem hatte er kurz vor seinem Tod Geschlechtsverkehr mit einer Frau. Einer sehr jungen Frau, soweit sich das sagen lässt.«
Manche Spuren sind für niemanden bestimmt. Raupach musste sofort an Babette denken. Es hörte nie auf. »Wer war der Mann?«
»Das wissen wir noch nicht. Es gibt keine Vermisstenmeldung, die auf ihn zutrifft, und auch keine Anzeige gegen jemanden wie ihn. Seine Fingerabdrücke sind nicht im Speicher.«
»Siehst du einen Zusammenhang?«
»Nein, abgesehen von dem Umstand, dass er in einer Unterführung gefunden wurde.«
»Das kann ein Zufall sein, Heide. Wenn es eine Tatortstatistik über die Häufigkeit von Verbrechen unter der Erde gäbe, ständen Unterführungen und Tiefgaragen obenan.«
»Sekunde.« Heide schaute auf das Display ihres Handys. Eine SMS. Sie las die Mitteilung und lächelte versonnen. Ihr Gesicht glättete sich. Dann ging sie wieder auf den Balkon und schaute hinaus.
»Die Frau vom Radio?«
»Nein.« Unten auf der Straße schien sie jemanden zu erkennen.
»Hast du noch jemanden eingeladen?«, fragte Raupach.
»Ich muss weg«, sagte sie. Während sie zur Tür ging, fiel ihr Blick auf eine Fernsehzeitschrift. Eine der angekündigten Sendungen war mit Textmarker angestrichen. »Wir reden morgen weiter.«
»Wie bitte? Ich dachte, das würde ein längerer Abend. Soll ich das Bier allein trinken?«
»Das wird schon nicht schlecht.« Sie schlüpfte in ihren Wollmantel. »Lad doch Photini ein. Sag ihr, dass es ökologisch unbedenklich ist. Vielleicht legt sie darauf Wert.«
»Wer ist es?«, fragte Raupach. »Nur aus Interesse.«
Heide machte mit der Hand eine Geste, als würde sie den Gaszug eines Motorrads betätigen. »Er heißt Paul«, setzte sie hinzu. »Einer von den Mopos. Sein Dienst ist zu Ende. Er wollte mir eine Nachricht schicken, bevor er mich abholt.«
»Praktisch.«
»Werd nicht nachtragend auf deine alten Tage.« Sie ließ die Kopie des Gedichts auf dem Tisch liegen. »Wir sehen uns.«
Als sie gegangen war, schaute Raupach auf die Straße hinunter. Paul war ein Riese von einem Mann, die Lederkombi unterstrich seinen athletischen Körperbau. Raupach kannte ihn nicht von früher.
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