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Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Titel: Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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Entscheidung des eigensinnigen Hausbesitzers. Raupach schwankte stets, ob er den Anstrich für Schimmel halten sollte oder für eine gefährliche chemische Reaktion. In einem Giftpilz zu wohnen hatte auch Vorteile. Die Leute kamen einem nicht zu nahe.
    Die andere Seite des Hauses war vor kurzem renoviert worden. Ihre Jugendstilornamente erstrahlten in noblem Weiß, die Wände in Altrosa.
    »Protzig!«, sagte Heide.
    »Ein schöner Kontrast zu Altgrün«, fand Raupach. Er würde nicht für Geld und gute Worte in die linke Seite des Hauses ziehen.
    Als er seine Wohnung betrat, prallte er zurück. Er hatte vergessen, wie es dort aussah. Aufgeschlagene Hängeordner waren über alle Zimmer verteilt. Die Kopie des Drohbriefs lag auf dem Küchenboden. Es wird unter der Erde geschehen. Die Strafe wird furchtbar sein.
    In der vergangenen Nacht hatte er gerade mal an der Oberfläche gekratzt. Allein die Straftaten, die in Tiefgaragen verübt wurden, reichten aus, um eine Sonderkommission tagelang mit der Abgleichung von Tatprofilen zu beschäftigen. Er hatte vorgehabt, die Unterlagen ins Archiv mitzunehmen und im Computer zu überprüfen, war aber wegen des Tankstellenraubs noch nicht dazu gekommen. Nach einem Moment der Unschlüssigkeit sammelte er die Ordner ein, schob sie zu einem großen Stapel zusammen und ließ ihn auf die Zeitschriften neben dem Sofa fallen.
    Das war keine gute Idee. Der Stapel kippte um.
    Heide stellte den Bierkasten auf den Küchenfliesen ab und begann, die Flaschen in den Kühlschrank einzuräumen. Sie betrachtete das Etikett und zweifelte an ihrer Wahl. Hopfen aus ökologischem Landbau? Schmeckte das? Warum überhaupt ökologisch, reichte nicht »Deutsches Reinheitsgebot« als Qualitätsnachweis? Das klang so unerschütterlich wie die Glocke.
    Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich das Herz zum Herzen findet. Das hatte der Standesbeamte gesagt, als Heide die erste ihrer beiden traurigen Ehen schloss, irgendwann im letzten Jahrhundert. Dass der Satz von Schiller stammte, hatte sie überrascht. Die anschließende Zeile hatte der Mistkerl allerdings weggelassen: Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang. Sie öffnete zwei Flaschen und setzte sich an den Küchentisch.
    »Hast du Hunger?« Raupach sah im Kühlschrank nach. Zwischen den Bierflaschen versuchte er ein paar Lebensmittel ausfindig zu machen. »Ich habe einen Käse zum Aufbacken. Den könnte ich in die Röhre schieben.«
    »Lass gut sein, Raupach. Ich bin nicht zum Essen hier.«
    »Mit Brot kann ich allerdings nicht dienen.«
    »Setz dich!«, befahl sie.
    Er schwieg. Die meisten Menschen änderten sich nicht mehr, wenn sie über dreißig waren. Sie nahmen höchstens ein paar Retuschen vor, um die hässlichsten Charakterfehler zu überdecken. Wenn sie die Vierzig überschritten hatten, taten sie nicht einmal mehr das. Wer dann ein verbohrtes Scheusal war, blieb es für den Rest seines Lebens.
    Heide stellte eine Ausnahme dar, obwohl sie in letzter Zeit eine gebieterische Phase durchlief. Wenn sie wollte, konnte sie die Liebenswürdigkeit in Person sein. Manchmal war sie sogar weich wie Wachs, aber nur wenn sie mit Raupach in ihrer Stammkneipe saß und von früher erzählte – was lange nicht mehr vorgekommen war.
    Er kannte die Chronologie ihrer gescheiterten Beziehungen. Heide war ein Mensch, der nicht allein sein konnte. Lieber stürzte sie sich in die nächstbeste Affäre, als Nacht für Nacht ihre Schlafzimmerdecke anzustarren. Sie gab sich jung, hielt sich aber für älter, als sie war. Sie litt darunter, keine Kinder zu haben, und genoss zugleich ihre Unabhängigkeit.
    »Hast du jetzt eine Putzfrau?«, fragte sie.
    »Nicht, dass ich wüsste.«
    »Hier sieht’s aus, als hätte jemand ernsthaft sauber gemacht.«
    »Ein Tuch, Heide. Man kann es zum Wischen benutzen.«
    »Und damit den Schmutz gründlich verteilen.« Sie klaubte eine Wollmaus auf. »Du hast vergessen, das Tuch anzufeuchten.«
    »Eins nach dem anderen. Gib mir Zeit.«
    Für Heide gehörte dieses andauernde Kräftemessen zu einem normalen Gespräch. Sie wollte die Oberhand behalten, brauchte es wie die Luft zum Atmen. Auf diese Weise hatte sie sich bei der Polizei durchgesetzt. Aber man muss die Luft auch anhalten können, dachte Raupach. Er tröstete sich damit, dass ihre guten Eigenschaften überwogen: eine ins Unendliche strapazierbare Loyalität, ein inquisitorisches Einfühlungsvermögen und ein halsbrecherischer Humor.
    Schließlich fand er, was er gesucht hatte. Er

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