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Der Vierte Tag

Der Vierte Tag

Titel: Der Vierte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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trommelt jemand gegen die Tür der Intensivstation, hüpft das Türglas noch ausgelassener in seinem Rahmen als vorhin bei Dr. Krämer.
    "Hier ist Professor Weißkopf. Öffnen Sie sofort diese Tür!"
    Fröhlich machen die gefährlichen Päckchen den Tanz von Glas und Türrahmen mit, drohen jeden Moment umzukippen.
    "Professor Weißkopf, hören Sie sofort auf damit. Sie bringen uns noch alle um!"
    Diesmal brüllen Zentis und ich die Bitte um unser Überleben im Chor.
    Tatsächlich endet das Treten und Trommeln, aber so schnell sind wir Weißkopf nicht los. Professor Weißkopf stammt aus einer Zeit, als der Status "Herr Professor" noch reichte, um die Abfahrt eines Zuges seinem Zeitplan anzupassen. Außerdem ist er der dienstälteste Arzt an der Humana-Klinik, betrachtet sie als "seine Klinik", obgleich offiziell nur Chef der Chirurgie. Und es ist nun einmal Chirurgenmentalität, Probleme offensiv anzugehen. Mit dem Skalpell - oder eben mit Füßen und Fäusten.
    "Zentis, was geht da vor bei Ihnen? Wir haben alles dabei!"
    Mein Gott, was soll das nun wieder heißen? Was haben Weißkopf und seine Mannen angeschleppt? Äxte und Eisenstangen? Narkosegas aus dem OP? Wahrscheinlich drängelt sich da die gesamte Chirurgie in der Hygieneschleuse vor der Tür. Nicht viel Platz, hat man doch diese Schleuse ebenso erst nachträglich vom Flur abgetrennt wie auf der anderen Seite das Intermediate-Zimmer.
    Mein Blick geht zu dem Blinden. Genießt er die Situation? Ist er gespannt, was wir jetzt wohl machen werden? Oder nur sprachlos über soviel Dilettantismus? Jedenfalls mischt er sich vorerst nicht ein.
    "Wir haben alles im Griff, Herr Weißkopf", ruft Zentis der Milchglastür zu. "Wir brauchen nur noch etwas Zeit. Und lassen Sie unbedingt die Tür in Ruhe!"
    "Sind Sie sicher? Können Sie überhaupt frei reden?"
    Unvorstellbar für einen Chirurgen, dass ein Internist je etwas wirklich im Griff haben sollte. Diesmal hat Weißkopf sogar recht. Trotzdem kann auch ich nur den Kopf schütteln über soviel Torheit. Lauthals unterstütze ich Zentis.
    "Herr Weißkopf, tun Sie uns einen Gefallen. Verschwinden Sie mit Ihrem Rollkommando. Wir bitten Sie!"
    Ich sehe den nun ratlosen Professor Weißkopf vor mir, die fragenden Blicke seiner Mannschaft auf sich gerichtet. Die Weißkopfs sind eine alte Offiziersfamilie, wie er immer wieder betont, einer seiner Ahnen habe bei Fehrbellin neben dem Prinzen von Homburg die Schweden aus der Mark Brandenburg gejagt. Entsprechend sein Regiment im OP. In seiner Abteilung brauche er keinen Sicherheitsdienst, da werde er persönlich noch mit jedem Randalierer fertig, hat er mich erst neulich zurechtgewiesen. Ich bin froh, dass er jetzt offenbar zum strategischen Rückzug pfeift, insbesondere angesichts der beiden inzwischen wieder beruhigten Sprengstoffpäckchen auf der Schwelle. Und froh bin ich, dass die Tür zur Intensivstation von außen nur mit dem richtigen Zahlencode zu öffnen ist, den zu merken sich Professor Weißkopf stets geweigert hat. Wir hören die Chirurgen abziehen.
    Nach dieser Attacke ist es eine Zeit lang ruhig. Unser Mann redet leise auf seinen Schäferhund ein, der endlich mit dem Bellen aufgehört hat. Dann gibt ein diskreter Summton bekannt, dass an Bett zwei die Infusion durchgelaufen ist.
    "Was bedeutet dieses Summen, Schwester Renate?"
    Renate erklärt es ihm.
    "Und? Braucht der Patient eine weitere Infusion?"
    "Natürlich braucht er die."
    Vorsichtig drehe ich den Kopf. Der Mann mit der blutenden Speiseröhre in Bett zwei hält die Augen weiter geschlossen. Inzwischen bin ich sicher, dass er nicht wirklich schläft. Ein Undercover-Agent, der, die Waffe unter der Bettdecke versteckt, nur auf seine Chance wartet! Sicher, bestätigt mein noch nicht ganz verblödetes Resthirn, so ist es! Und ich bin Superman und werde hier gleich furchtbar aufräumen! Ich vertrage diese Nachtdienste einfach nicht mehr.
    "Dann hängen Sie ihm bitte eine neue Infusion an."
    Souverän gibt der Blinde seine Anordnung. Haben wir unsere Gefangenschaft einem dieser Möchtegern-Ärzte zu verdanken, bei dem es bedauerlicherweise nur zu einem Heilpraktiker-Fernstudium gereicht hat? Einer, der endlich seinen Jugendtraum verwirklichen will? Nur, warum dann der Aufwand? Solche Leute ziehen sich in der Regel einfach einen weißen Kittel über, fälschen zur Not noch ein Approbationszeugnis und arbeiten dann ungestört über Jahre in irgendeiner Klinik. Chefarzt Manfred Zentis mit seinem erschlichenen

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