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Der Vierte Tag

Der Vierte Tag

Titel: Der Vierte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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hinter mich gestellt hat, mit Sicherheit in der vollen Überzeugung, dass sein Leben schon aufgrund der höheren Gehaltsklasse schützenswerter sei als meines? Um unsere Schwestern, die junge Schwester Renate oder gar um Schwester Käthe, die kurz vor ihrer Pensionierung steht? Um unsere Patienten etwa?
    Ein Knall, ich zucke zusammen und ducke mich. Mich jedenfalls hat es nicht getroffen. Ein erbärmlicher Gedanke? Nicht wirklich, es ist nur eine Feststellung. Gott sei Dank ist niemand getroffen, es war die Toilettentür, die geknallt hat.
    "Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie ihren Hund hier nicht mit hereinbringen können!"
    Schwester Renate hat den Anfang des Dramas auf der Toilette versäumt. Nicht ganz untypisch. Sie hat offenbar zunächst den Hund gesehen, eindeutig eine Abweichung im abgespeicherten Bildmuster "Intensivstation", erst jetzt nimmt sie die Pistole wahr. Aber so schnell ist Renate nicht zu erschüttern.
    "Ich hoffe, Sie haben wenigstens einen Waffenschein für das Ding. Sonst geben Sie es lieber ganz schnell her, ehe noch ein Unglück passiert!"
    Ein wenig unwillig wendet sich der Blinde jetzt Renate zu, die Pistole mit ihm.
    "Der Hund bleibt hier!"
    Wenigstens ist das schon mal geklärt.
    Ich habe nicht die geringste Idee, was jetzt zu tun ist, wie man mit einer schnellen, intelligenten Aktion oder einem flotten Spruch die Situation lösen könnte. Meine Mitgeiseln vielleicht? Das Studium ihrer Gesichter vermittelt mir eine gute Vorstellung, was mein Gesicht im Augenblick ausdrücken dürfte: Ratlosigkeit, Unverständnis, Angst. Das zumindest verraten die Züge von Schwester Käthe. Bei Schwester Renate, fast dreißig Jahre jünger als Käthe, kommt noch Empörung hinzu. Und bei unserem Chefarzt Dr. Zentis, der sich nun mutig neben mich gestellt hat, entdecke ich neben deutlicher Angst auch Wut. Doch so, wie er mich anblickt, scheint sich diese Wut nicht allein auf den Kerl mit der Pistole zu beziehen. Mindestens ebenso deutlich bezieht sie sich auf mich.
    "Das ist allein Ihre Schuld, Hoffmann!" raunt er mir ins Ohr und zieht sich schnell wieder zurück.
    Was meint Zentis? Warum ist es meine Schuld, dass ich jetzt wieder als Kugelfang vor unserem verehrten Chefarzt stehe, der, wie fleißig einstudiert, jeder meiner diskreten Positionsänderungen folgt, so dass wir einen stummen Pas de deux vollführen, der ihn weiterhin aus der Schusslinie hält? Wahrscheinlich meint er den Hund, der uns mit seinem halb geöffneten Maul mindestens ebenso effektiv in Schach hält wie der Blinde mit seiner Pistole.
    Im Moment schnuppert dieser Hund an mir, wittert sicher, dass ich heute Morgen schon in unserer klinikeigenen Tierpension war. Wie, fragen sich bestimmt auch meine Mitgeiseln, kommt man mit einem Hund bis auf die Intensivstation, wo im gesamten Krankenhaus Topfpflanzen und Haustiere verboten sind, wie Hinweisschilder an jedem Eingang betonen. Ob sie daran denken, dass Blinde nun einmal auch noch so deutlich aufgestellte Hinweisschilder nicht lesen können, allenfalls darüber stolpern? Und dass kein Mensch jemandem mit dunkler Brille auf der Nase und schwarzgepunkteter Binde am Arm irgendwo den Zutritt verweigern oder den Hund wegnehmen würde? Vielleicht hatte Schwester Käthe vorhin an der Tür zur Intensivstation, an der man klingeln muss, um eingelassen zu werden, dunkle Brille und Armbinde übersehen. Ich hatte noch ihr "aber der Hund bleibt draußen!" gehört, weiß aber nicht, ob der Blinde sie einfach ignoriert hat oder Käthe unsicherer als Renate bezüglich Blinden mit Blindenhunden war.
    Bilde ich mir das ein oder guckt mich nicht nur Zentis vorwurfsvoll an? Es hat sich in der Klinik eingebürgert, bei Problemen mit Hunden oder Katzen mir die Schuld zu geben. Wahrscheinlich, weil es seinerzeit meine Idee gewesen war, mit dem Erbe von Herrn Winter eine Haustierpension unmittelbar neben der Klinik einzurichten. Viele Mitarbeiter hätten von dem Geld lieber einen Personalkindergarten gebaut, aber erstens habe ich keine Kinder, zweitens wollten der längst verstorbene Herr Winter und ich etwas für die Patienten tun, nicht für die Krankenhaus-Mitarbeiter. Seither haben wir keine Probleme mehr mit der Unterbringung etwaiger Haustiere von unserer ständig älter werdenden und häufig allein lebenden Klientel, außerdem verbraucht die deutlich weniger Antidepressiva.
    Aber nun haben wir plötzlich einen Hund auf der Intensivstation. Will der Blinde eine Intensivbehandlung für seinen Hund

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