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Der Vierte Tag

Der Vierte Tag

Titel: Der Vierte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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auf die Intensivstation legen will. Und mit der Polizei zu sprechen hat er offensichtlich unverändert keine Lust. Während wir gerade zu Bett vier weiterschieben, wird ihm das Geklingel doch zu viel.
    "Nehmen Sie bitte ab, Schwester Renate. Und sagen Sie denen, sie sollen hier nicht mehr anrufen. Ich werde mich melden, wenn es notwendig ist."
    Aber es ist nicht die Polizei. Es ist ein findiger Fernsehreporter, der die Durchwahl zur Intensivstation herausgefunden hat. Und nun ein Interview führen will: mit Renate, mit den Ärzten, mit dem Geiselnehmer. So könne der einem breiten Publikum seine Forderungen oder sein Anliegen mitteilen, das wäre doch super. Schließlich habe sein Sender die höchste Einschaltquote.
    "Sicher haben Sie auch einen Patienten, der mit mir sprechen würde!"
    Der Reporter spricht so laut, dass wir gut mithören können. Mein Vertrauen in die Polizei sinkt weiter. Was ist das für eine Schlamperei, die Telefonleitung zu uns nicht zu sperren!
    Der Blinde gibt Renate Anweisung aufzulegen.
    "Und rufen Sie bitte die Polizei da draußen an, solche Sachen zu unterbinden. Sie sollen die Nummer ändern oder was weiß ich."
    "Wie soll ich denn die Polizisten erreichen?"
    Einen Moment ist der Blinde irritiert. Wie ich war er sicher davon ausgegangen, dass wir inzwischen beim Abheben automatisch die Polizei in der Leitung haben.
    "Rufen Sie einfach 110 an. Die sollen das weitergeben."
    Mittlerweile stehen wir alle um Bett vier. Es ist kaum zu erkennen, dass es sich um eine Frau handelt. Gelbe Augäpfel sitzen glanzlos in einem schmutzig graugelben Gesicht. Aus der Beatmungsmaschine tritt die ausgeatmete Luft und verbreitet einen unangenehmen Geruch nach Leber, den sogenannten Foetor hepaticus. Ein sicheres Zeichen, dass die Leber zerfällt und ihrer Entgiftungsfunktion nicht mehr nachkommt. Ganz offensichtlich ist es bereits zu einer Hirnschädigung gekommen, deshalb das Koma. Der Körper vergiftet sich selbst. Das endet in der Regel tödlich.
    "Fällt Ihnen noch etwas ein, Herr Hoffmann?" fragt Zentis, offensichtlich sicher, dass er die Patientin optimal versorgt hat.
    Was nicht so furchtbar schwer ist, denn viel kann man sowieso nicht mehr tun. Trotzdem läuft neben der Lebenserhaltung für Kreislauf und Atmung das Leberprogramm: Lactulose und Neomycin sollen Produktion und Aufnahme von Eiweiß aus dem Darm unterbinden. Die Gerinnungsfaktoren, die die Leber nun nicht mehr selbst produziert, werden durch entsprechende Konzentrate ersetzt. Der Blutdruck wird kontinuierlich überwacht, ebenso das Herz und der Druck im kleinen Kreislauf. Auch der Blinde scheint gespannt auf meine Antwort. Ich hebe die Schultern. Was soll der ganze Aufwand hier noch ausrichten?
    Renate meldet sich: "Bei der Übergabe heute morgen hieß es, dass wir heute ..."
    Mit einem strengen Blick bringt Zentis sie zum Schweigen. Was sollte heute mit der Patientin geschehen? Etwas, das der Blinde nicht wissen soll? Was sich von selbst erledigt hat? Etwas, was Zentis vor mir verheimlichen will? Ich werde Renate nachher fragen.
    Renate und Käthe stellen die Liste zusammen, was wir für die Patienten brauchen.
    "So für die nächsten achtundvierzig Stunden", habe ich ihnen geraten.
    Das Telefon hatte sich noch einige Male gemeldet, aber jetzt ist Ruhe.
    "Wir sollten uns jetzt um Ihre Großtante kümmern", kommt es plötzlich von dem Blinden.
    Er hat sein Versprechen tatsächlich nicht vergessen!
    Käthe entwickelt einen diskreten roten Ausschlag am Hals. Es ist ihr peinlich, dass sie ihre Großtante vergessen hat.
    "Ja, danke. Darf ich telefonieren?"
    "Selbstverständlich."
    Der Blinde verzichtet auf Sprüche wie "seien Sie vorsichtig, was Sie sagen" - welche Tipps zu unserer Befreiung sollte Käthe auch geben können?
    Inzwischen ist tatsächlich zuerst die Polizei in der Leitung, die Käthe aber nach einigem hin und her zu ihrer Nachbarin durchstellt. Die ist offensichtlich voll über unsere Situation informiert - oder über das, was die Medien mittlerweile daraus gemacht haben.
    "Nein, wir werden gut behandelt, machen Sie sich keine Sorgen. Es geht um meine Großtante."
    Käthe gibt Anweisungen zur Pflege der Großtante, zu den notwendigen Medikamenten und zur Ernährung.
    "Achten Sie bitte ganz besonders darauf, dass meine Tante genug trinkt. Das tut sie von selbst nicht." – "Nein, für uns können Sie nichts tun. Wir werden schon zurecht kommen. Danke, dass Sie sich um meine Großtante kümmern." – "Ja, auch dafür vielen

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