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Der Vierte Tag

Der Vierte Tag

Titel: Der Vierte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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Würden Sie den Herrn Chefarzt bitte wieder an die Heizung ketten?"
    Wie gesagt, ich mag Zentis nicht, finde aber, eine kleine Demonstration von Solidarität kann nicht schaden, und melde mich zu Wort.
    "Geht nicht. Wir brauchen Dr. Zentis am Patienten, nicht an der Heizung."
    Was natürlich nicht stimmt. Und so wie Renate mich jetzt anschaut, ist sie der Meinung, dass Zentis in Handschellen am Heizkörper für uns alle besser wäre. Mag sein. Aber es ging mir nicht um eine Erleichterung für Zentis, sondern um einen Punkt gegen den Blinden.
    Zentis wird tatsächlich nicht wieder angekettet, hält aber wenigstens vorerst den Mund. Wir können mit unserer Visite anfangen und beginnen an Bett eins. Herr Sauerbier ist sichtlich erfreut, dass er endlich wieder im Mittelpunkt steht beziehungsweise liegt. Ich stelle ihn vor.
    "Das ist Herr Sauerbier, vorhin gekommen mit thorakalen Beschwerden. EKG unauffällig, Enzyme bisher negativ. Am besten, Sie hören sich die Symptomatik mal selbst an", wende ich mich an Zentis.
    Herr Sauerbier ist mehr als bereit, erneut und ausführlichst seine Beschwerden zu schildern. Wie gesagt, von Herzkranzgefäßen versteht Zentis was, will sich aber bei Herrn Sauerbier am Ende genau so wenig wie ich auf eine Diagnose festlegen. Er klopft ihm jovial auf die Schulter, was fast wieder zu einem Fehlalarm der EKG-Überwachung führt.
    "Wir werden Sie genauestens beobachten, Herr Sauerbier, und EKG und Enzyme regelmäßig kontrollieren. Sie sind jetzt in guten Händen."
    In die Augen von Patient Sauerbier tritt ein Leuchten.
    "Vielen Dank, Herr Chefarzt. Sie haben mir wieder Hoffnung gegeben."
    Was auch immer wir von Zentis halten mögen, genau das ist der Grund, weshalb es Chefärzte braucht. Und weshalb ich Zentis nie vor den Patienten duzen würde.
    "Sie melden sich sofort, wenn Beschwerden auftreten!"
    "Selbstverständlich, Herr Chefarzt."
    Ein Blick auf Sauerbiers Unterlagen bestätigt meine Vermutung: Postbeamtenkrankenkasse. Bundesbahn oder öffentlicher Dienst hätte auch gepasst.
    Unsere kleine Karawane zieht weiter zu Bett zwei. Ich erfahre, dass der Patient Herbert Engels heißt. Herr Engels macht wieder einen auf Tiefschlaf. Mit einer aufgeblasenen Plastikwurst in der Speiseröhre und einem Schlauch durch die Nase, der die Plastikwurst an der richtigen Stelle halten soll, würde ich das wahrscheinlich auch. Seine neue Infusion, die man angeblich nur in der Krankenhausapotheke herstellen kann, hat er immer noch nicht. Und die Blutkonserve ist auch bald leer.
    Zentis berichtet: Ösophagusvarizenblutung. Der Patient sei schon zweimal koaguliert worden in dieser Woche, aber vergangene Nacht habe er wieder angefangen, massiv zu bluten.
    "Ich denke, heute sollten wir die Sengstaken-Sonde liegen lassen. Morgen früh können wir dann vorsichtig den Druck reduzieren."
    Es ist ja nicht so, dass Zentis gar nichts von Medizin versteht, insbesondere, solange die Probleme überschaubar bleiben. Außerdem haben wir ihn in seinem ersten Jahr als Chefarzt schon ganz gut weitergebildet. Allerdings habe ich lange keine Sengstaken-Sonde mehr im Einsatz gesehen. In der Regel gelingt es heutzutage, eine Blutung in der Speiseröhre mit Laser oder kleinen Clips zu stoppen. Aber, wie Zentis gerade berichtet hat, sind zwei solche Versuche ohne Erfolg geblieben. Außerdem sind Sommerferien, und nicht nur Intensivarzt Valenta ist im Urlaub, sondern auch unsere besseren Magenspezialisten. So muss Herr Engels also eine verstopfte Speiseröhre erdulden, in der die aufgeblasene Sonde gegen ihre Innenwand drückt und ein weiteres Bluten verhindert.
    "Wie ist der letzte Hb?" erkundigt sich Zentis nach dem Blutverlust.
    "Sieben Komma drei", entnimmt Käthe dem Laborblatt. "Kreuzblut ist noch im Labor."
    "Dann sollten wir noch ein paar Blutkonserven bestellen. Oder Erythrozyten-Konzentrate."
    Wir machen eine ganz normale Visite, haben über die medizinischen Fragen unseren Blinden fast vergessen. Der steht aber direkt hinter uns und hört aufmerksam zu. Doch ein verhinderter Arzt?
    Zentis jedenfalls erinnert sich noch rechtzeitig: "Und die sollen uns seine Spezial-Infusionen fertig machen."
    Käthe notiert brav.
    Die ganze Zeit schon merke ich ein leichtes Kribbeln an meinem rechten Oberschenkel, das kommt und geht. Da ich die Ursache kenne, ignoriere ich es.
    Immer wieder klingelt das Stationstelefon, wir sollen aber nicht abnehmen. Der Blinde darf zu Recht davon ausgehen, dass uns im Moment niemand einen neuen Patienten

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