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Der Vierte Tag

Der Vierte Tag

Titel: Der Vierte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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Humana-Klinik? Das Virchow-Krankenhaus wäre erheblich logischer, weil näher gewesen, zu uns musste sie durch die halbe Stadt fahren. Hat die Humana-Klinik einen so guten Ruf? Und wer hatte sie dann eigentlich stationär aufgenommen? Die Schrift, in der die Erstuntersuchung notiert ist, kenne ich nicht, sicher hat das eine Ärztin oder ein Arzt im Praktikum gemacht. Aber ein AIPler konnte ihre stationäre Aufnahme nicht angeordnet haben, das überschreitet deren Kompetenz. Ich blättere weiter, finde aber nirgends einen Hinweis auf den verantwortlichen Kollegen oder die verantwortliche Kollegin. Äußerst merkwürdig, zumal bei einem so schweren Fall.
    "Ist das nicht ein gutes Zeichen?"
    Ich habe nicht bemerkt, dass der Geiselnehmer neben mir steht, mich beim Studium der Unterlagen beobachtet hat. Er deutet auf die Laborwerte von gestern Abend, insbesondere auf die sogenannten Transaminasen. Das sind wichtige Leberenzyme. Gehen Leberzellen durch eine Lebererkrankung zu Grunde, werden diese Transaminasen frei, und man misst ihren Anstieg im Blut als Maß für die Leberschädigung. Tatsächlich sind bei der Patientin die Werte gestern deutlich abgefallen. Erholt sich die Leber plötzlich doch? Ich fürchte das Gegenteil. Wahrscheinlich handelt es sich um einen sogenannten Transaminasensturz, einen Abfall der Werte für die Transaminasen allein deshalb, weil die Leber so geschädigt ist, dass sie keine Transaminasen mehr produzieren kann. Ich halte meine Antwort vage.
    "Man muss abwarten, was das bedeutet", und arbeite mich weiter durch die Unterlagen.
    "Ist wirklich alles getan worden, was möglich ist?" fragt der Geiselnehmer als nächstes.
    "Ja, soweit ich das hier sehe."
    "Warum keine Lebertransplantation? Ist das nur was für Larry Hagmann?"
    Meine Vermutung wird zur Gewissheit. Ich wende mich jetzt voll dem Geiselnehmer zu, will ihm bei seiner Antwort in die Augen sehen.
    "Sie heißen Lustig, nicht wahr?"
    Lustig ist laut Unterlagen der Name der Komapatientin.
    "Nein."
    "Nein?!"
    Das kann nicht sein. Ich war meiner Sache vollkommen sicher gewesen und stolz auf meine kombinatorischen Fähigkeiten. Wie kann ich mich doch geirrt haben?
    "Und wie heißen Sie?"
    "Mein Name ist Fröhlich."
    Warum nimmt der Mann mich auf den Arm? Hier liegt eine Frau im Sterben und dieser Mann verarscht mich! Ich kann es nicht glauben.
    "Sie sind nicht der Ehemann?"
    Der Geiselnehmer blickt zu Boden. Es dauert eine Zeit, ehe er antwortet.
    "Doch, ich bin der Ehemann. Das ist meine Frau. Lustig ist ihr Mädchenname."
    Also eine dieser unglaublichen Albernheiten, die sich das wirkliche Leben gelegentlich erlaubt? Frau Lustig heiratet Herrn Fröhlich? Herr Fröhlich sieht tatsächlich nicht aus, als nähme er mich auf den Arm. Er wiederholt seine Frage.
    "Was meinen Sie zu einer Lebertransplantation?"
    Ich versuche mich um die Antwort zu drücken.
    "Was hat Chefarzt Zentis Ihnen dazu gesagt? Den haben Sie doch bestimmt schon danach gefragt."
    Ein weiterer Schatten legt sich auf die Miene von Herrn Fröhlich. Er antwortet nicht. Ich habe einen Fehler gemacht, mit einem Satz eventuell beginnendes Vertrauen verspielt. Durch diese Gegenfrage habe ich mich ihm als Arzt zu erkennen gegeben, der nahtlos in die globale Verschwörung aller Ärzte integriert ist, die einander nie widersprechen oder gar gegeneinander aussagen würden.
    "Was immer Dr. Zentis Ihnen gesagt hat", versuche ich zu retten, "im Moment jedenfalls sehe ich keine vernünftigen Chancen für eine Lebertransplantation. Falls man überhaupt einen Spender fände, würde Ihre Frau die Operation nicht überleben."
    "Und Stammzellen? Was ist mit Stammzellen?"
    "Vielleicht in zehn Jahren. Oder fünfzehn. Es tut mir leid."
    "Dann gibt es also wirklich keine Chance mehr?"
    Wieder antworte ich mit einer Gegenfrage.
    "Es geht um das geplante Abstellen, nicht wahr? Deshalb sind Sie hier!"
    Herr Fröhlich fixiert einen Punkt irgendwo in den Weiten des Universums, einen Punkt, den nur er sehen kann.
    "Was sollte ich denn sonst machen? Was hätten Sie gemacht?"
    Ich habe keine Ahnung. Aber, sollte der Fall eintreten, wünschte ich mir die gleiche Kraft, die gleiche Entschlossenheit. Und die gleiche konsequente Liebe zu einem Menschen.
    "Hat man das denn nicht mit Ihnen besprochen? Wir haben hier noch nie die aktiven medizinischen Maßnahmen eingestellt, ohne das ausführlich mit den Angehörigen zu überlegen."
    Wir wissen beide, wen ich mit "man" meine.
    "Doch, man hat mit mir gesprochen.

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