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Der Vierte Tag

Der Vierte Tag

Titel: Der Vierte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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einen Verdacht, worum es bei dieser Geiselnahme eigentlich geht. Und wenn dieser Verdacht stimmt, sollten wir Zentis tatsächlich so schnell wie möglich loswerden.
    Was auch immer Zentis denken oder vermuten mag, jedenfalls widerspricht er mir nicht, sondern unterstützt meinen Vorschlag. Mit seiner reichen Erfahrung in Gremienarbeit, der er schließlich seine Abteilungsleiter-Position verdankt, kann er noch ein paar mehr Argumente beisteuern.
    "Ich muss zugeben, die Idee von Dr. Hoffmann hat etwas für sich. Außerdem wird man mich natürlich interviewen. Und als Chefarzt, der ich nun einmal bin, und meiner entsprechenden Bedeutung, könnte ich Ihre Forderungen doch mit einem ganz anderen Nachdruck in der Öffentlichkeit vertreten."
    Ich kann mir vorstellen, Zentis meint das wirklich ernst.
    Zur Sicherheit legt er noch nach: "Was immer Sie wollen, ich werde es vertreten. Einen Fluchtwagen, eine Stunde Vorsprung, ein Flugzeug ... Also, welche Forderungen soll ich von Ihnen überbringen?"
    Bestimmt sieht sich Zentis schon als stündlich wiederholten Newsclip auf CNN. Aber, wahrscheinlich etwas irritierend für ihn, zeigt unser Geiselnehmer keine Reaktion, so dass Zentis lieber nachfragt.
    "Sie haben doch noch weitere Forderungen?"
    Hört unser Freund ihm überhaupt zu? Ich bin mir nicht sicher. Aber so schnell lässt sich unser Dr. Zentis nicht entmutigen. Und so schnell ist auch sein Vorrat an Argumenten nicht aufgebraucht.
    "Außerdem sind da noch die Verpflichtungen, von denen Kollege Hoffmann gesprochen hat. Wie, stellen Sie sich vor, soll ein Krankenhaus ohne seinen Chefarzt funktionieren? Ohne Ihr Wissen haben Sie auch die anderen Patienten der Humana-Klinik zu Ihren Geiseln gemacht und in tödliche Gefahr gebracht. Wenn Sie mich hier weiter festhalten, werden auf den anderen Stationen Menschen sterben, und die haben Sie dann auf dem Gewissen!"
    Das ist hinsichtlich der Bedeutung von Zentis als Arzt natürlich stark übertrieben, zumal Zentis nur Chefarzt der Inneren Abteilung ist, entspricht aber wahrscheinlich seiner ehrlichen Selbsteinschätzung.
    Der Geiselnehmer scheint die Argumente zu wägen, schließlich fragt er: "Das heißt, Sie nehmen nie Urlaub?"
    Wieder frage ich mich: Ist das ironisch gemeint oder naives Produkt längeren Nachdenkens?
    "Natürlich gehe ich auch gelegentlich in einen kurzen Urlaub. Aber der wird in der Klinik intensiv vorbereitet, über Wochen vorgeplant."
    Ich bin fasziniert. Und langsam mache ich mir Sorgen. Was soll bloß werden, wenn der gute Zentis einmal krank werden sollte?
    Plötzlich wendet sich der Geiselnehmer an mich: "Stimmt das? Ist der so wichtig?"
    Zentis' Augen zucken nervös. Was immer er sich sonst vormachen sollte, hinsichtlich meiner Meinung über ihn und seine Unverzichtbarkeit dürfte er keine Illusionen haben.
    "Ja", antworte ich. "Wenn Sie den Chefarzt nicht gehen lassen, können Sie uns und die Patienten hier so gut behandeln, wie Sie wollen, und werden doch schon bald ein paar Menschenleben auf dem Gewissen haben."
    Der Geiselnehmer schaut mich lange an. Ich suche nach einem Blinzeln, irgendeinem heimlichen Zeichen des Einverständnisses, des Verstehens, aber vergeblich. Also habe ich wahrscheinlich gerade einen riesigen Fehler gemacht, als ich dachte, ich wüsste endlich, worum es hier geht, und hätte besser für die eigene Freilassung plädiert. Nun ist es zu spät.
    "Wir machen das folgendermaßen", wendet sich der Geiselnehmer schließlich an Käthe, "wenn Sie das bitte so an die Polizei durchgeben wollen: Im Austausch gegen den Patienten Engels will ich die erste Million haben. Wenn mit dem Geld alles in Ordnung ist, kommt vielleicht eine weitere Geisel frei."
    Nach etwa zwanzig Minuten meldet die Polizei, dass sie für den Austausch bereit sei. Wenig später taucht in bewährter Manier ein gutgebauter junger Mann in Badehose auf, der wie beim Eisstockschießen ein Päckchen über das blankgeputzte Krankenhauslinoleum in unsere Richtung gleiten lässt, während Zentis und ich dem Bett mit Herrn Engels einen Schubs in die Gegenrichtung geben. Wir schließen die Tür, unser Wächter nimmt das Päckchen entgegen. Ich bin erstaunt, wie klein es ist.
    "Das soll eine Million sein?"
    "Lassen Sie uns sehen."
    Geht es hier doch nur um Geld? Dann allerdings habe ich die Sache ordentlich vermasselt. Jedenfalls ist der Geiselnehmer auf Geld vorbereitet. Aus seinem Rucksack zieht er einen dieser tragbaren Geldscheinprüfer mit UV- oder Schwarzlicht und

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