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Der Vierte Tag

Der Vierte Tag

Titel: Der Vierte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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kontrolliert in aller Ruhe jede Fünfhundert-Euro-Note. Danach sortiert er Häufchen zu zehn Scheinen, diese stapelt er wiederum zu Gruppen von zehn Häufchen. Gespannt zählen wir mit, niemand von uns hat jemals so viel Geld gesehen. Die ganze Aktion dauert mehr als eine halbe Stunde, aber der Geiselnehmer scheint zufrieden, es sind wohl alles echte Scheine ohne Markierungen. Oder gibt es geheime Markierungen, die erst nach Tagen sichtbar werden?
    Am Ende werden die Häufchen zusammen geschoben und das ganze Geld, jetzt zwei Päckchen, in normales Packpapier eingewickelt. Es ist kein sehr beeindruckender Anblick, beide Päckchen zusammen haben gerade einmal Taschenbuch-Format.
    Eher beiläufig nuschelt der Geiselnehmer in Richtung Zentis: "Gut. Sie können gehen."
    Zentis ist sich nicht sicher, ob er richtig verstanden hat. Er deutet auf sich, deutet zur Tür, der Geiselnehmer nickt und wendet sich an Schwester Käthe.
    "Geben Sie denen bitte Bescheid, dass der Chefarzt rauskommt."
    Immer noch ist Zentis nicht sicher, ob das Ganze nicht ein böser Scherz ist. Ungläubig starrt er uns an, besonders mich, während er sich vorsichtig rückwärts in Richtung Tür bewegt. Die Lämpchen, die mich in der Nacht so irritiert hatten, blinken dort seit der Entlassung des humpelnden SEK-Manns nicht mehr. Zentis öffnet die Tür und betritt die Hygieneschleusse. Für einen Moment ahnt man noch seine Kontur durch das Milchglas, dann ist er verschwunden.
    "Kein großer Verlust", verkündet Renate und trifft damit zumindest auch meine Meinung.
    Durch die Entlassung von Zentis fühle ich mich erleichtert, stellte er doch, meiner Meinung nach, für uns alle eine ernste Gefahr dar. Aber ich bin nicht nur erleichtert, denn jetzt liegt zumindest die medizinische Verantwortung für die Intensivstation alleine bei mir. Wenigstens bezieht sich diese Verantwortung nur noch auf einen Fall, auf die Komapatientin in Bett vier, deren Situation sowieso aussichtslos ist. Das sollte zu packen sein.
    Zuerst muss ich mir einen einigermaßen kompletten Überblick über die Krankengeschichte dieser Frau verschaffen und studiere ihre Unterlagen. Auf den ersten Blick eine gradlinige Geschichte. Die Frau stellt sich vor knapp zwei Wochen wegen zunehmender Müdigkeit und Appetitlosigkeit vor. Man macht das Routinelabor, die Leberwerte sind katastrophal, die Frau wird stationär aufgenommen.
    Schon an diesem Tag trübt die Patientin zunehmend ein, die Ammoniakwerte im Blut steigen weiter an, sie wird auf die Intensivstation verlegt. Bei ihrer Versorgung läuft, soweit ich das sehe, alles korrekt, denn viel kann man ohnehin nicht tun: Mit bestimmten Antibiotika versucht man, den Darm frei von Bakterien zu bekommen, damit nicht noch mehr Ammoniak produziert wird und das Blut vergiftet. Aus dem gleichen Grund wird auf intravenöse Ernährung umgestellt. Daneben hatte man nach den eventuellen Ursachen für die schwere Funktionsstörung der Leber gesucht. Aber man fand nichts, keine Marker für eine akute oder chronische Hepatitis, keine andere Infektion, keine Bluterkrankung. Also konnte man nur abwarten, ob sich die Leber, ein äußerst regenerationsfähiges Organ, erholen würde, und auftretende Komplikationen behandeln.
    Zu der erhofften Erholung kam es nicht, wohl aber zu den befürchteten Komplikationen. Die Leber konnte die notwendigen Eiweiße für die Blutgerinnung nicht mehr herstellen, deshalb traten diffuse Blutungen in den Magen-Darm-Trakt auf, die neben dem gefährlichen Blutverlust zu einer weiteren Überschwemmung des Körpers mit giftigen Abbauprodukten führten, und in der Folge zu einer weiteren Vertiefung des Komas. Unter anderem deshalb muss die Patienten beatmet werden.
    Ich kann keinen Fehler entdecken. Trotz des Sommerurlaubs von Intensivarzt Valenta und der krankheitsbedingten Abwesenheit seiner Vertreterin Marlies ist alles lehrbuchgerecht gelaufen, hat man der Patientin nichts an möglicher Therapie vorenthalten. Ein wenig mehr Ursachenforschung hätte man vielleicht treiben können, aber auch das hätte an der Behandlung sehr wahrscheinlich nichts geändert.
    Doch es gibt ein paar Punkte, die merkwürdig sind. Ich finde zum Beispiel keinen Einweisungsschein für die Patientin, also keinen Hinweis auf den Arzt, der die Patientin zu uns geschickt hätte. Auch die Rubrik "Hausarzt" auf dem Aufnahmeformular ist leer. War die Patientin aus eigenem Antrieb gleich in die Klinik gekommen? Durchaus möglich, aber warum dann zu uns in die

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