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Der Vierte Tag

Der Vierte Tag

Titel: Der Vierte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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Geiselnehmer zur Seite und holt das Gastroskop. Damit hat sie Zentis und mir die Entscheidung abgenommen, wir werden also erneut versuchen, unter Sicht die Blutungsquelle in der Speiseröhre zu unterbinden.
    "Unter Sicht" ist bei einem Patienten, der akut blutet, ein ziemlicher Euphemismus. Durch die kleine Optik an dem Magenschlauch sieht man erst einmal gar nichts außer Blut. Dazu kommt, dass weder Zentis noch ich in dieser Technik besonders geübt sind. Herr Engels liegt auf der Seite, wir beide knien neben ihm auf seinem Bett und müssen warten, weil Käthe Schwierigkeiten hat, die Saugung in Gang zu bekommen. Engels riecht unangenehm nach Rinderleber und Blut, Zentis und sicher auch ich nach Schweiß. Wir schwitzen vor Anstrengung und aus Angst, die Blutung nicht gestoppt zu bekommen. Außerdem haben wir seit gestern nicht geduscht.
    Endlich schaffen Käthe und Renate es gemeinsam, dass die Absaugung funktioniert. Nach einigen Minuten können wir die Blutungsquelle sehen, und es gelingt tatsächlich, die Blutung mit einem Clip zu unterbinden. Zentis ist sichtlich zufrieden mit sich, ich hingegen mache mir gleich wieder Sorgen, ob unser Clip halten wird.
    "Ich denke, Herrn Engels sollten wir sobald wie möglich loswerden", raune ich Zentis zu und ignoriere damit, wen ich eigentlich als nächsten aus unserer Runde entfernt sehen wollte.
    "Um die Patienten mache ich mir bei unserem Geiselnehmerfreund die wenigsten Sorgen", raunt Zentis zurück.
    Wir sind gerade dabei, die blutige Schweinerei um Bett zwei herum wenigstens grob zu säubern, da meldet sich die Polizei. Sie hätten jetzt die eine Million Euro, berichtet Käthe vom Telefon.
    "Aber sie bestehen auf der Freilassung von mindestens zwei Geiseln im Austausch."
    Aus leidvoller Erfahrung kann ich inzwischen ganz gut die Zeichen erkennen, wenn der Geiselnehmer droht, ernsthaft wütend zu werden, wie jetzt zum Beispiel.
    "Sie könnten darauf eingehen", argumentiere ich so leise, dass man es über das Telefon nicht hören kann. "Herr Engels kann jederzeit wieder bluten und gehört deshalb in die Hand von Spezialisten für so etwas, in die Behandlung von Gastroenterologen. Das sind Dr. Zentis und ich nicht. Und wenn Sie zusätzlich einen von uns wegschicken, wäre das eine Geisel weniger, vor der Sie auf der Hut sein müssen."
    "Sie sprechen von Herrn Engels und sich, Dr. Hoffmann?"
    "Ich spreche von Herrn Engels und einem von uns."
    Der Geiselnehmer überlegt einen Moment, wendet sich dann an Schwester Käthe.
    "Jemand soll das Geld bringen, auf die übliche Weise. Ich werde inzwischen überlegen, wie viele Geiseln ich dafür freilasse."
    Die Polizei wird diese Aussage so verstehen wie ich: Wenn jetzt niemand einen Fehler macht, wird demnächst mehr als eine Geisel freigelassen werden. Und, noch wichtiger, es steht zurzeit keine Drohung im Raum.
    Der Geiselnehmer krault seinen Hund im Nacken und wendet sich an uns.
    "Nehmen wir einmal an, ich gehe auf den Wunsch der Polizei ein. Also wird Herr Engels zu Spezialisten verlegt, das ist klar. Aber, was meinen Sie, auf wen von Ihnen können wir wohl verzichten?"
    Ich bin mir nicht sicher: Hat unser Geiselnehmer wirklich einen feinen Humor? Eher einen unfreiwilligen, glaube ich. Wer jedenfalls hält sich schon für verzichtbar? Aber selbst wenn er direkt gefragt hätte, wäre es nicht zu peinlich, mit einem aufgeregten "hier! ich!" die Finger zu schnipsen?
    Der Geiselnehmer bleibt also ohne Antwort und präzisiert seine Vorstellungen.
    "Schwester Renate, Schwester Käthe, Sie muss ich leider auf jeden Fall hier behalten, wer sonst sollte die Komapatientin versorgen?" Dann wendet er sich an Zentis und mich. "Ist einer von Ihnen Leberspezialist?"
    Böse Fangfrage, denn nun ist klar: Der Leberspezialist müsste bleiben. Unter diesen Umständen ist nicht einmal Zentis Leberspezialist.
    "Wir sind beide keine Leberspezialisten", antworte ich. "Mein Vorschlag wäre deshalb, Dr. Zentis gehen zu lassen. Er ist der Chefarzt, wie Sie wissen, und hat eine Menge Verpflichtungen."
    Zentis mustert mich ziemlich erstaunt, überlegt wahrscheinlich, was für ein Spiel ich spiele. Das wäre einfach zu erklären. Ich habe Hemmungen, öffentlich für die eigene Freilassung zu argumentieren. Außerdem finde ich Zentis' Schwanken zwischen Servilität und Revolution gegenüber dem Geiselnehmer gefährlich, und er geht mir fast genauso nachhaltig auf die Nerven wie Patient Sauerbier. Letztlich aber, wichtigster Punkt, habe ich inzwischen

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