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Der Vierte Tag

Der Vierte Tag

Titel: Der Vierte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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Häufig. Und immer drängender in den letzten Tagen. Meine Weigerung, dem Abstellen der Maschinen zuzustimmen, würde das Leiden meiner Frau unnötig verlängern. Sie würde Menschen mit wirklichen Überlebenschancen den Platz auf der Intensivstation wegnehmen, hat Ihr Herr Chefarzt argumentiert. Ich sei egoistisch. Verantwortungslos. Meine Frau hätte im umgekehrten Fall sicher schon längst zugestimmt."
    "Also wusste Dr. Zentis die ganze Zeit, wer Sie sind!"
    "Ja, sicher."
    Ich bin nicht wirklich überrascht. Genau wegen dieser Vermutung hatte ich die Freilassung von Zentis betrieben. Noch ist mir allerdings unklar, warum Zentis uns dies verschwiegen hat. Einen Moment bin ich verwirrt: Warum haben Käthe und Renate nichts gesagt? Aber dann fällt mir ein, dass beide bis gestern im Urlaub waren. Ich bitte Fröhlich, mehr über die letzten Wochen zu berichten. Er erzählt die typische Geschichte vom täglichen, oft stündlichen Wechsel zwischen Verzweiflung und Zuversicht, von der Hoffnung auf und der Furcht vor Neuigkeiten bei jedem Besuch auf der Intensivstation. Gestern hat er sich befreit aus der Rolle des passiven Dulders, des Empfängers immer gleich schlechter Nachrichten und ist aktiv geworden. Ein trauriges Missverständnis, wird er doch bald erkennen, dass er mit seiner Geiselaktion das Abstellen der Medizintechnik bei seiner Frau verhindern konnte, nicht aber ihren Tod.
    Trotzdem bin ich erleichtert, gibt es nun endlich eine nachvollziehbare Erklärung für die Unternehmung des Herrn Fröhlich. Doch meine Erleichterung hält sich in Grenzen: weil nachvollziehbar nicht vernünftig bedeutet. Weil wir immer noch Geiseln sind und nach wie vor als lebende Bomben herumlaufen. Und weil die Geschichte von Zentis' angeblicher Eile, die lebenserhaltenden Maschinen abzustellen, keinen Sinn ergibt. So lange Intensivarzt Valenta im Urlaub ist und wir unsere Schwerkranken bei den Chirurgen verstecken, kann nicht die Rede davon sein, dass Frau Lustig anderen Patienten "den Platz wegnimmt"!
    Wie viel von dem, was Geiselnehmer Fröhlich gerade erzählt hat, entspricht tatsächlich der Wahrheit? Warum lässt seine aktuelle Auskunftsbereitschaft interessante Fragen unbeantwortet?
    "Warum ist Ihre Frau zu uns in die Humana-Klinik gekommen, obgleich andere große Krankenhäuser deutlich näher gewesen wären?" frage ich.
    Fröhlich hebt nur die Schultern, kann es angeblich nicht erklären.
    "Und warum wird sie hier unter ihrem Mädchennamen geführt?"
    Diesmal hebt Fröhlich nicht die Schultern. Er hebt seine Pistole und richtet sie auf mich.
    "Dr. Hoffmann. Sie haben eine wirklich wichtige Aufgabe. Ihren Arztberuf. Auf den sollten Sie sich konzentrieren."
    Aus dem besorgten Angehörigen ist erneut der entschlossene Geiselnehmer geworden, und zwar einer, der uns etwas verschweigt. Aber was verschweigt er? Und warum? Klar bin ich Arzt, aber im Moment auch Geisel. Und als Geisel weiß man gerne, worum es eigentlich geht. Unter anderem, weil man dafür eventuell sterben muss.
    Wir stehen am Tresen, weil dort die kompletten Unterlagen zu unseren Patienten liegen. Aus Richtung Bett vier meldet sich plötzlich ein diskretes Glockenzeichen. Aber seine Unaufdringlichkeit sollte niemanden täuschen. Es ist der Beatmungsalarm, irgendetwas läuft falsch mit der Beatmung von Frau Fröhlich.
    Es dauert eine Weile, bis wir den Fehler, einen verklemmten Schlauch, gefunden haben. Eventuell war ich das, bin vorhin dagegen gestoßen, als ich das aktuellen Laborblatt von dort geholt habe. Oder es ist passiert, während Käthe und Renate Frau Fröhlich gewaschen haben und über die Zeit langsam schlimmer geworden. Im Gegensatz zu mir hat Käthe sofort daran gedacht, Frau Fröhlich von der Maschine abzunehmen und beatmet sie jetzt mit dem guten alten Ambu-Beutel von Hand.
    Es ist ein paar Jahre her, dass ich hauptamtlich auf der Intensivstation gearbeitet habe, außerdem bin ich aufgeregt und verwechsle beim Wiederanschluss die Schläuche. Aber endlich haben wir gemeinsam alles wieder da, wo es hingehört, allerdings stimmen jetzt die Einstellungen der Maschine nicht mehr. Früher gab es dafür zwei einfache Drehknöpfe, die modernen Maschinen hingegen führen per Bildschirm durch ein Menü, was hilfreich ist, aber dauert, wenn man sich mit der Logik dieses Programms nicht auskennt. Mich irritiert ein neues Geräusch: Der bisher regelmäßige Herzschlag von Frau Fröhlich wird zunehmend durch vorzeitig einfallende Extraschläge gestört, eine

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