Der Vierte Tag
Test wiederholt bei uns angerufen, wollte aber immer unbedingt meine Frau persönlich sprechen?"
Eine interessante Frage, die ich Herrn Fröhlich trotz seines Zeigefingers auf meiner Brust nicht beantworten kann. Dafür habe ich eine für ihn.
"Was für ein Medikament wurde da überhaupt getestet? Wissen Sie das?"
Fröhlich will antworten, verstummt aber und schaut mich an, als sähe er mich zum erstenmal. Oder als hätte er plötzlich meinen Bocksfuß unter dem albernen Besucherkittel, den ich aus bekannten Gründen seit gestern Nachmittag trage, entdeckt. Dann greift er nach dem Halsausschnitt dieses Besucherkittels, zieht mich dicht vor sein gerötetes Gesicht.
"Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?"
Das will ich natürlich nicht, habe aber keine Gelegenheit, ihm das klarzumachen, er poltert weiter. Wieder bekomme ich reichlich Speichel ab.
"Warum lassen Sie mich eigentlich die ganze Geschichte erzählen, Dr. Hoffmann? Um herauszubekommen, wie viel ich weiß? Schließlich arbeiten Sie in dieser Klinik. Sie wissen doch genau Bescheid, was hier läuft!"
Langsam kapiere ich, was er meint, und würde ihm gerne antworten, seinen Irrtum richtig stellen. Geht aber nicht. Mit seiner Faust hat er den Halsausschnitt so eng gedreht, dass ich kaum noch Luft bekomme. Das bekommt er mit, weil er auf eine Antwort wartet, irgendeine Verteidigung von mir, eine Lüge wahrscheinlich - und drückt noch ein wenig fester zu. Endlich aber lässt er los, hat keine Kraft mehr oder sein Interesse an mir verloren. Er stößt mich zurück wie einen Sack Kartoffeln.
"Sie irren sich", bekomme ich nach einigem Husten und Krächzen heraus.
Ich versuche ihm zu erklären, wie sich das verhält mit der "Tagesklinik für Medikamentensicherheit" und der Humana-Klinik. Dass es zwar personelle Überschneidungen gibt, zum Beispiel in Form von Dr. Zentis, aber ansonsten die eigentliche Klinik nichts mit der Forschungsabteilung zu tun hat.
"Und natürlich haben Sie auch keine Ahnung, welche Art von Medikamenten dort untersucht werden!"
Klar, dass er mir nicht glaubt. Für ihn stecken alle Ärzte unter einer Decke. Inzwischen habe ich mich etwas erholt, kann wieder mit halbwegs normaler Stimme sprechen, sogar eine Andeutung von Schärfe hineinlegen.
"Ich kann nichts daran ändern, was Sie mir glauben und was nicht. Ich kann Ihnen nur versichern, dass weder ich noch die Schwestern Ihrer Frau irgendwie helfen können, solange wir nicht alle Fakten kennen."
Fröhlich mustert mich unverändert misstrauisch. Sehr wahrscheinlich lügt auch Dr. Hoffmann ihn an, aber dieser Dr. Hoffmann ist im Moment auch seine einzige Hoffnung. Ich frage noch einmal, um was für ein Medikament es ging.
"Ich weiß nicht, wie das Zeug hieß. Vielleicht hatte es auch noch gar keinen Namen. Jedenfalls sollte es eine Spritze zum Schlankmachen sein. Vollkommen ungefährlich natürlich!"
Etwas zum Schlankmachen? Kämpft die "Tagesklinik für Medikamentensicherheit" tatsächlich mit in der vordersten Front der aktuellen Arzneimittelentwicklung? Die erbitterte Schlacht gegen nachlassende Potenz, Haarausfall oder Fettbauch bedeutet wenigstens in der westlichen Welt eine enorme Klientel. Und eine zahlungskräftigere als AIDS-Patienten in Afrika oder Asien, die zum großen Teil nicht das Geld haben, sich einen Fettbauch anzufressen. Eines allerdings irritiert mich.
"Sind Sie sicher, dass es um eine Spritze ging?"
"Ja, bin ich. Schon deshalb, weil meine Frau Spritzen hasst und trotzdem an der Sache teilgenommen hat."
Seltsam. Die in den letzten Jahren entwickelten Medikamente aus der Familie Friss-soviel-du-willst-und-nimm-trotzdem-ab wirken direkt im Darm, wo sie die Aufnahme der Nahrung, insbesondere von Fett, in den Körper beschränken sollen. Deshalb nimmt man sie als Tablette ein. Außerdem dürften Spritzen auf dem Markt der Lifestyle-Medikamente generell weniger beliebt sein. Aber wahrscheinlich nehmen viele Leute auch Spritzen in Kauf, wenn sie nur weiter ordentlich in sich hineinstopfen dürfen. Und wenn es zum Beispiel eine Depotspritze ist, die man sich alle zwei Wochen oder so beim Hausarzt als Privatleistung in den Hintern injizieren lässt, sind auch wir Ärzte mit dieser Darreichungsform einverstanden.
Herr Fröhlich ist weiterhin nicht von meiner Unwissenheit über die Vorgänge in der "Tagesklinik für Medikamentensicherheit" überzeugt, fragt aber trotzdem, ob ich noch etwas wissen wolle. Ja, ich will mich vergewissern, ob ich alles richtig und vollständig
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