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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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gespritzt war, und fünfundzwanzig Minuten später hielt er unter Camilles Fenster. Der Drang zu einem anderen Zufluchtsort, das Verlangen, und sei es nur, indem er das Haus ansah, ein wenig von der erfrischenden Luft zu atmen, die von Camille ausging oder aber in der Verbindung von Camille und ihm selbst entstand. Es braucht zwei Fenster, damit ein Luftzug entsteht, hätte Clémentine ihn belehrt. Es versetzte ihm einen Stich, als er zu der Fensterfront im siebten Stock aufsah. Erleuchtet. Sie war also aus Montreal zurück. Es sei denn, sie hatte untervermietet. Oder aber, na klar, der fremde Vater bewegte sich dort oben wie ein Hauseigentümer. Mit seinen zwei Labradors, der eine geifernd unter der Spüle, der andere unter dem Synthesizer. Adamsberg betrachtete den provozierenden Lichtschein hinter der gläsernen Front und lauerte auf seinen Schatten. Die Eigenmächtigkeit, mit der ein Fremder von dieser Wohnung Besitz ergriff, drang wie ein Bohrer durch ihn hindurch und gab den Blick frei auf einen nackten Kerl, der mit festem Hintern und flachem Bauch dort oben herumschlenderte; und dieses Bild machte ihn fertig.
    Aus dem kleinen Café im Parterre kamen ein stechender Geruch und dumpfer Lärm von krakeelenden Säufern. Genau wie in der Schleuse. Perfekt, sagte sich Adamsberg, während er das Mofa nervös an einen Pfahl anschloß. Ein gutes Glas Cognac, um diesen nackten Typen, der sich herausnahm, seine Labradors auf den Boden des Ateliers sabbern zu lassen, zu Brei zu zermalmen. Bei dem Kerl mit den Hunden würde er sich für dasselbe endgültige Verfahren entscheiden wie Cargo, Friede seiner Asche: ihn in eine klebrige Löschpapierkugel verwandeln.
    Zweites planvolles Besäufnis, seitdem er erwachsen war, sagte sich Adamsberg und stieß die dunstverhangene Tür auf. Vielleicht würde er an diesem Abend keine Mischungen versuchen. Oder besser doch. In fünf Wochen säße er in Brézillons Sessel fest und hätte das Gedächtnis, seinen Beruf, seinen Bruder und sein Mädchen aus dem Norden verloren, und die Freiheit dazu. Es war also kaum der rechte Augenblick, sich mit Fragen der Mischung aufzuhalten. Verfluchte Labradors, dachte er nach seinem ersten Cognac, er würde sie geradewegs in den vorderen Turm des Münsters einpassen, mit den Hinterpfoten in der Luft rudernd. Wenn erst einmal alle Ausgänge des Juwels gotischer Baukunst von dieser wilden Menagerie verstopft wären, was würde dann wohl mit dem Bauwerk geschehen? Würde es am Ende ersticken? Langsam an Blausucht zugrunde gehen? Oder aber, paff, paff, paff, und Explosion? Und würde, fragte er sich beim zweiten Glas, das Münster danach einfach zusammenstürzen? Und was würde man mit all den Trümmern anfangen, ganz zu schweigen von den im Schutt gestrandeten Viechern? Ein erhebliches Problem für Straßburg.
    Und ob er mit dem übrigen Getier die Fenster der GRC verschließen würde? So daß die Sauerstoffzufuhr blockiert wäre und die Luft mit den übelriechenden Ausdünstungen der Tiere geschwängert würde? Laliberté würde tot umfallen in seinem Büro. Sanscartier den Guten müßte man vor dem Ersticken retten, und auch Ginette mit ihrer Salbe. Aber hätte er auch genügend Tiere? Die Frage war von entscheidender Bedeutung, schließlich erforderte die Aktion große Viecher, und keine Schnecken oder Schmetterlinge. Er brauchte gutes, wenn möglich qualmendes Material wie Drachen. Aber Drachen schüttelte man nicht so einfach aus dem Ärmel, die verkrochen sich wie Feiglinge in unzugänglichen Höhlen.
    Doch, natürlich, es gab eine ganze Ladung davon beim Mah-Jongg, dachte er und schlug mit der Faust auf den Tresen. Das einzige, was er von diesem chinesischen Spiel wußte, war, daß haufenweis Drachen, noch dazu in allen möglichen Farben, darin vorkamen. Er müßte nur wie der Vater Guillaumond mit drei Fingern darin herumwühlen und alle nötigen Reptilien in die Türen und Fenster stopfen, die Ritzen nicht zu vergessen. Rote für Straßburg und grüne für die GRC.
    Adamsberg war nicht in der Lage, sein viertes Glas auszutrinken, und fand sich schwankend vor dem Mofa wieder. Unfähig, das Sicherheitsschloß zu öffnen, stieß er mit einem Ruck die Haustür auf und stieg, sich ans Treppengeländer klammernd, die sieben Stockwerke hinauf. Für einen kleinen Plausch mit dem fremden Vater, um ihm die Uhrzeit zu gongen, auf daß er sich verpißte. Und ihm seine beiden Köter zu klauen. Zu denen er auch noch die Dobermänner des Richters packen

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