Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
Vom Netzwerk:
lächelnd und in aller Form an.
    »Ich habe Bruchstücke von einer Zeile herausfischen können«, sagte sie mit ihrer piepsigen Stimme. »Es handelt sich um die versprengten Überreste einer Nachricht. Die Ihre Leute nicht gelesen haben«, fügte sie mit einem Fünkchen Stolz hinzu. »Es gibt Winkel, die die besten Spurensucher vergessen mit dem Läusekamm zu durchforsten.«
    »Der schmale Spalt zwischen Wand und Waschbeckenfuß.«
    »Zum Beispiel. Ich habe immer leidenschaftlich gern saubergemacht, und das störte meinen Reeder. Sehen Sie sich das an.«
    Adamsberg trat an den Bildschirm und las eine unverständliche Reihe von Buchstaben, die die Katastrophe überstanden hatten: dam rai ea aou emi ort oi eu il.
    Josette schien ihr Fund sehr zu befriedigen.
    »Das ist alles, was übriggeblieben ist?« fragte Adamsberg enttäuscht.
    »Weiter nichts, aber immerhin etwas«, sagte Josette noch immer fröhlich. »Denn diese Vokalgruppe aou kommt im Französischen sehr selten vor: in août 1 , saoûl 2 , yaourt 3 und caoutchouc 4 .«
    »Und raout.«
    »Raout?«
    »Eine mondäne Feier, Josette.«
    »Ach ja. Wir nannten so was Cocktailempfang, als ich noch auf großem Fuße lebte. Was fünf Wörter ergibt, die diese Vokale enthalten, und nur drei, wenn man die mit dem Accent circonflexe rausnimmt.«
    »Ich weiß nicht, ob Michaël in Rechtschreibung besonders bewandert war.«
    »Dann behalten wir eben août und saoûl. Es kann sich ja auch um einen Eigennamen handeln. Dann wäre da auch noch dieses dam, das äußerst interessant ist.«
    »Das klassische Codewort, wenn man die Drehscheibe Amsterdam meint. Michaël hatte was mit Dealern zu tun, da bin ich fast sicher.«
    »Das könnte passen. Mit diesem ea für Deal. Könnte man mit ›Kautschuk‹ vielleicht den Stoff meinen?«
    »Als Codewort? Habe ich nie gehört, ist aber möglich. Die Substanz vom Cannabis, der ›Kautschuk‹, seltsam, aber warum nicht?«
    »Was nach einer Dealernachricht aussähe. Nach allem, was davon noch übrig ist.«
    Josette schrieb die einzelnen Buchstabenverbindungen auf ein Blatt, und sie arbeiteten eine Weile still nebeneinander.
    »Ich weiß nicht, was ich mit dem oi eu il anfangen soll«, meinte Josette schließlich.
    »›Poids neuf kilos‹ 5 ?« schlug Adamsberg vor.
    1 (franz.) August – 2 besoffen – 3 Joghurt – 4 Kautschuk – 5 Gewicht: neun Kilo.
    »Was so etwas ergäbe wie: Amsterdam – livraison – deal – caoutchouc – acheminé – transport – poids neuf kilos.« 1
    »Und kein Zusammenhang mit dem Dreizack«, sagte Adamsberg leise. »Michaël muß in einen Drogenhandel verstrickt gewesen sein, der eine Nummer zu groß für ihn war. Ein Fall für die Rauschgiftfahnder, aber nicht für uns, Josette.«
    Josette trank vorsichtig ihren Porto-Flip, wobei der Ärger die Falten in ihrem kleinen Gesicht noch vervielfachte.
     
    Retancourt hatte sich im Maulwurf geirrt, dachte Adamsberg, während er das Feuer schürte. Wie sagte man in Quebec noch für »schüren«? Ach ja. Angorkeln, das Feuer angorkeln. Die beiden Frauen waren bereits zu Bett gegangen, er aber konnte keinen Schlaf finden. Er gorkelte an. Er würde nie feststellen, wer dieser Maulwurf war, den es wahrscheinlich auch nie gegeben hatte. Nur der Wachmann aus dem Wohnblock, er allein hatte Laliberté informiert. Was die Hausdurchsuchung bei ihm betraf, so gründete sich dieser Verdacht auf nicht sehr viel. Ein Schlüssel, der um ein paar Zentimeter verlegt worden war, ohne irgendeine Gewißheit, und ein Karton, den Danglard glaubte anders eingeräumt zu haben. Das alles bedeutete so gut wie nichts. Er würde den unwahrscheinlichen Begleiter vom Tragestellen-Pfad nie finden. Selbst wenn er alle Verbrechen von Fulgence ans Tageslicht brächte, bliebe er doch sein Leben lang auf diesem grauenvollen Pfad allein. Adamsberg fühlte, wie ein Faden nach dem anderen zerriß und er abgetrennt wurde von der Welt wie ein mörderischer Bär auf einem Stück Packeis, das sich vom Kontinent entfernte. Und der sich im Schutz von Clémentines Porto-Flips und der grauen Hausschuhe von Josette verkrochen hatte.
    1 Amsterdam – Lieferung – Deal – Kautschuk – abgeschickt – Transport – Gewicht neun Kilo.
    Er zog seine Jacke an, stülpte sich die Polarmütze über und ging lautlos in die Nacht hinaus. Die verfallenen Gassen von Clignancourt lagen leer und dunkel, da die Straßenbeleuchtung nicht funktionierte. Er bestieg Josettes altes Mofa, das in zwei verschiedenen Blautönen

Weitere Kostenlose Bücher