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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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im Moment tun konnte, war, Jean-Baptistes Aufmerksamkeit auf diese Spielsteine zu lenken. Bis die Tabletten wirkten und er sich wieder auf den Weg machen konnte. Und ihm einen starken Kaffee zu kochen, damit er nicht noch kopfüber auf die Bar schlug.
    »Wo sind die Drachen?«
    »Es gibt drei Farbgruppen in dem Spiel«, erklärte Camille besänftigend, mit der Vorsicht jeder Frau, die auf der Straße von einem durchgeknallten Kerl angemacht wird. Geduldig reden und, sobald man kann, verschwinden. Ihn mit den Spielsteinen ihrer Großmutter beschäftigen. Sie reichte ihm eine Schale mit schwarzem Kaffee.
    »Hier hast du die Gruppe der Kreise, hier die der Zahlen und dort die Bambusgruppe, durchnumeriert von eins bis neun. Verstehst du?«
    »Und wozu braucht man die?«
    »Zum Spielen. Und hier die Trumpfgruppen: Ost, West, Nord, Süd und deine Drachen.«
    »Ah«, sagte Adamsberg zufrieden.
    »Vier grüne Drachen«, sagte Camille und legte sie vor ihm zusammen, »vier rote Drachen und vier jungfräuliche. Insgesamt zwölf Drachen, genügt dir das?«
    »Und das hier?« fragte Adamsberg und tippte unsicher auf einen reichverzierten Spielstein.
    »Das ist eine Blume, davon gibt’s acht. Das sind Trümpfe, die nicht zählen, ihr Wert liegt nur in der Schönheit der Geste.«
    »Und was macht man mit dem ganzen Kram?«
    »Man spielt«, wiederholte Camille geduldig. »Du mußt in dem Maße, wie du ziehst, drei Steine mit dem gleichen Motiv oder drei aufeinanderfolgende Zahlen kombinieren. Die Bild-Dreier sind mehr wert. Interessiert dich das immer noch?«
    Adamsberg nickte teilnahmslos und trank seinen Kaffee.
    »Du ziehst so lange Steine, bis du eine komplette Mah-Jongg-Hand zustande gebracht hast. Wenn möglich ohne zu schlinzen.«
    »Wenn du schlinzt, wirst du aufgespießt, sagte meine Esti von Großmutter immer. ›Ich hab zu dem Deutschen gesagt, bleib, wo du bist, sonst wirst du aufgespießt.‹«
    »Einverstanden. Jetzt weißt du, wie man spielt. Wenn dich das so sehr begeistert, überlaß ich dir die Spielanleitung.«
     
    Camille setzte sich mit einem Buch in den hinteren Teil des Raums. Abwarten, bis es vorüber war. Adamsberg baute kleine Stapel aus den Spielsteinen, die zusammenstürzten; murmelnd begann er von neuem, wischte sich nur von Zeit zu Zeit über die Augen, als bereiteten ihm diese Geröllbrocken irgendeinen heftigen Kummer. Der Alkohol löste Emotionen in ihm aus und ließ ihn wirres Zeug reden, auf das Camille nur mit einer kleinen Handbewegung antwortete. Nach einer guten Stunde schloß sie ihr Buch.
    »Wenn du dich jetzt besser fühlst, geh«, sagte sie.
    »Zuerst will ich diesen Kerl mit den Hunden sehen«, erklärte Adamsberg und stand rasch auf.
    »Gut. Wie gedenkst du dabei vorzugehen?«
    »Ich werd ihn aus seinem Versteck treiben. Ein Kerl, der sich verbirgt und nicht den Mut hat, mir ins Gesicht zu sehen.«
    »Das ist möglich.«
    Adamsberg durchquerte wankenden Schrittes das Atelier und ging auf das Zimmer im Zwischengeschoß zu.
    »Da oben ist er nicht«, sagte Camille und räumte die Spielsteine wieder ein. »Du kannst mir wirklich glauben.«
    »Wo versteckt er sich?«
    Camille breitete in einer Gebärde der Machtlosigkeit die Arme aus.
    »Nicht da«, sagte sie.
    »Nicht da?«
    »So ist es. Nicht da.«
    »Ist er ausgegangen?«
    »Er ist fort.«
    »Er hat dich sitzenlassen?« schrie Adamsberg.
    »Ja. Schrei nicht, und hör auf, nach ihm zu suchen.«
    Adamsberg setzte sich auf die Sessellehne, ziemlich ernüchtert durch das Medikament und die Überraschung.
    »Großer Gott, er hat dich sitzenlassen? Mit dem Kind?«
    »Das kommt vor.«
    Camille hatte die Teile des Mah-Jongg wieder in ihre Schachtel einsortiert.
    »Scheiße«, sagte Adamsberg tonlos. »Du hast wirklich kein Glück.«
    Camille zuckte mit den Achseln.
    »Ich hätte nicht weggehen dürfen«, verkündete Adamsberg kopfschüttelnd. »Ich hätte dich beschützt, ich hätte mich ihm in den Weg gestellt«, sagte er und breitete die Arme aus, wobei er plötzlich an den Ringelgänseboß denken mußte.
    »Kannst du dich jetzt wieder auf den Beinen halten?« fragte Camille sanft und sah auf.
    »Natürlich kann ich.«
    »Dann geh jetzt, Jean-Baptiste.«

54
     
    Adamsberg, überrascht, daß er seine Lenkstange halbwegs gerade halten konnte, erreichte Clignancourt in der Nacht. Camilles Behandlung hatte ihm das Blut durchgewirbelt und den Schädel freigeblasen, er hatte weder Kopfschmerzen, noch verspürte er Lust zu schlafen. Er schlich in

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