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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Schulter.
    »Das also nagt an dir?« fragte sie.
    »Ich habe mich geirrt, und jetzt versuche ich zu begreifen.«
    »Nun, meine Josette, soll ich dir mal was sagen?«
    »Bitte.«
    »Das ist Chinesisch, dein Ding hier. Und Chinesisch verstehen nur die Chinesen, klarer Fall. Soll ich dir eine warme Milch machen?«
    »Nein danke, Clémie. Ich will mich noch ein wenig hierauf konzentrieren.«
    Clémentine schloß leise die Tür des Arbeitszimmers. Man durfte Josette nicht stören, wenn sie sich den Kopf zerbrach.
    Josette nahm sich noch einmal jene Buchstabengruppe vor, die als einzige imstande war, ihr den Weg zu weisen, dieses aou, diese seltene Kombination von Vokalen. Yaourt, raout, caoutchouc. Clémentine hatte recht, das war Chinesisch.
    Josette stieß jäh ihren Bleistift ins Blatt. Selbstverständlich, es war Chinesisch. Das Wort war kein französisches, es war Chinesisch, eine Fremdsprache. Aber für einen, der diese Sprache gebrauchte, ein klarer Fall. Ein klarer Wasserfall an einem Fluß, einem Indianerfluß. Outaouais 1 , schrieb sie fieberhaft unter den Vokalhaufen. Diesmal verspürte sie in sich die glückselige Erleuchtung des Hackers, der den richtigen Schlüssel zum richtigen Riegel in der Hand hält. Und dam stand für Adamsberg, nicht für Amsterdam. Seltsam, dachte Josette, wie sehr allzu große Nähe das Offensichtliche verschleiern kann. Aber in ihrem Traum mit den roten Blättern, da hatte sie es gewußt. Nicht Blut, hatte Clémentine versichert. Natürlich. Sondern die roten Blätter Kanadas, die im Herbst auf die Wege fielen. Sich vor Anstrengung auf die Lippen beißend, schrieb Josette nach und nach die Wörter nieder, die sich endlich aus diesem Anfang ergaben und sich nun ganz leicht aneinanderfügten. »emi« für chemin 2. »eu il« für jeune fille 3 und nicht für neuf kilos 4 .
     
    1 (franz.) Ottawa River – 2 Weg – 3 junges Mädchen – 4 neun Kilo.
    Zehn Minuten später betrachtete sie ihr Werk, entspannt und in der Gewißheit, daß sie nun wieder einschlafen würde: Adamsberg – travaille – Gatineau – Outaouais – chemin -portage – croise – jeune fille} Sie ließ das Blatt auf ihren Schoß sinken.
    Adamsberg hatte also doch einen Denunzianten im Schlepptau gehabt, Michaël Sartonna. Zwar bewies das nichts für den Mord, doch zumindest war sicher, daß der junge Mann seine Unternehmungen beobachtet hatte und informiert gewesen war über seine Begegnungen auf dem Tragestellen-Pfad. Und daß er seine Informationen weitergegeben hatte. Josette klemmte das Blatt unter ihre Tastatur und schlüpfte unter ihre Decken. Wenigstens war es kein Hackerfehler gewesen, sondern ein simpler Entschlüsselungsfehler.
     
    1 Adamsberg – arbeitet – Gatineau – Ottawa River – Tragestellen-Pfad – trifft – junges Mädchen.

53
     
    »Dein Mah-Jongg«, wiederholte Adamsberg.
    Camille zögerte und kam dann schließlich zu ihm in die Küche. Die Trunkenheit raubte Adamsbergs Stimme jeglichen Charme, machte sie gellender und brüchiger. Sie löste zwei Tabletten in einem Glas Wasser auf und reichte es ihm.
    »Trink«, sagte sie.
    »Ich brauche Drachen, verstehst du. Große Drachen«, erklärte Adamsberg, bevor er das Glas austrank.
    »Sprich nicht so laut. Was willst du mit Drachen?«
    »Ich muß ein paar Fenster verstopfen.«
    »Gut«, sagte Camille nachgiebig. »Du wirst sie verstopfen.«
    »Zusammen mit den Labradors von diesem Kerl.«
    »Zusammen mit ihnen. Sprich nicht so laut.«
    »Warum?«
    Camille antwortete nicht, aber Adamsberg folgte ihrem flüchtigen Blick. Im Hintergrund des Raums erkannte er undeutlich ein winziges Bett.
    »Ach, natürlich«, erklärte er, indem er den Finger hob.
    »Das Kind. Bloß nicht das Kind aufwecken. Und auch nicht den Vater mit den Hunden.«
    »Du weißt Bescheid?« fragte Camille in sachlichem Ton.
    »Ich bin Bulle, ich weiß alles. Über Montreal, das Kind und den Vater mit den Hunden.«
    »Das ist gut. Wie bist du hierhergekommen? Zu Fuß?«
    »Mit dem Mofa.«
    Scheiße, dachte Camille. Schwierig, ihn in diesem Zustand fahren zu lassen. Sie holte das alte Mah-Jongg-Spiel ihrer Großmutter hervor.
    »Spiel«, sagte sie und stellte die Schachtel auf die Bar, »amüsier dich mit den Spielsteinen. Ich lese derweil.«
    »Laß mich nicht allein. Ich weiß nicht mehr weiter, und ich habe ein Mädchen umgebracht. Erklär mir dieses Mah-Jongg, ich will die Drachen finden.«
    Camille prüfte Adamsberg mit einem raschen Blick. Es schien, das einzige, was sie

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