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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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würde, das täte die klaffenden Löcher des Münsters wunderbar füllen. Aber nicht Cargo, nein, der ein sympathischer Sabberer und auf seiner Seite war, genau wie sein Mobil-Skarabäus. Ein perfekter Plan, sagte er sich und lehnte sich gegen Camilles Tür. Eine Flut von Gedanken hielt seinen Finger zurück, als er auf die Klingel drücken wollte. Ein Alarmsignal aus seinem Gedächtnis. Vorsicht. Er war sturzbetrunken gewesen, als er Noëlla massakriert hatte. Vorsicht, geh nicht hinein. Du weißt nicht mehr, wer du bist, du weißt nicht, was du taugst. Ja, aber diese Labradors, verflucht noch mal, die brauchte er doch.
    Camille öffnete, sehr überrascht, ihn auf ihrem Treppenabsatz vorzufinden.
    »Bist du allein?« fragte Adamsberg mit schwerer Zunge.
    Camille nickte.
    »Ohne die Hunde?«
    Die Wörter bildeten sich nur mit Mühe in seinem Mund. Geh nicht hinein, raunte ihm das Tosen des Ottawa River zu. Geh nicht hinein.
    »Welche Hunde?« fragte Camille. »Aber du bist ja vollkommen blau, Jean-Baptiste. Du klingelst um Mitternacht und redest was von Hunden?«
    »Ich rede vom Mah-Jongg. Laß mich rein.«
    Unfähig, schnell genug zu reagieren, wich Camille vor Adamsberg zurück. Er setzte sich schwankend an die Bar in der Küche, auf der die Reste vom Abendessen herumstanden. Er spielte mit dem Glas, der Karaffe, der Gabel, deren spitze Enden er betastete. Camille, ratlos, hatte sich in die Mitte des Raums geflüchtet und saß im Schneidersitz auf ihrem Klavierhocker.
    »Ich weiß, daß deine Großmutter ein Mah-Jongg hatte«, faselte Adamsberg weiter. »Sie wollte sicher nie, daß man schlinzte, was? Wenn du schlinzt, wirst du aufgespießt!«
    Was für ein Jux, diese Esti von Großmütter.

52
     
    Josette schlief schlecht und erwachte um ein Uhr morgens auf dem Höhepunkt eines Alptraums: Aus ihrem Drucker kam rotes Papier, das im Zimmer herumflog und sich über den Boden verteilte. Man konnte nichts darauf lesen, die Ergebnisse waren in der alles aufsaugenden Farbe ertränkt.
    Lautlos stand sie auf und setzte sich in die Küche, wo sie sich einen Teller Kekse mit Ahornsirup nahm. Clémentine kam, in ihren großen Schlafrock gewickelt, dazu, wie ein Nachtwächter, der gerade seine Runde drehte.
    »Ich wollte dich nicht aufwecken«, entschuldigte sich Josette.
    »Dich piesackt doch irgendwas«, meinte Clémentine.
    »Ich kann nicht schlafen. Ist schon gut, Clémie.«
    »Plagt dich deine Maschine?«
    »Ich nehme an, ja. In meinem Traum kamen nur unlesbare Blätter heraus.«
    »Du wirst schon hinkommen, Josette. Ich vertrau dir.«
    Wohin kommen? fragte sich Josette.
    »Mir ist, als hätte ich von Blut geträumt, Clémie. Alle Blätter waren rot.«
    »Tropfte denn Tinte aus der Maschine?«
    »Nein. Nur von den Blättern.«
    »Nun, dann war’s auch kein Blut.«
    »Ist er weggegangen?« fragte Josette, als sie das leere Sofa bemerkte.
    »Anzunehmen. Irgendwas muß ihn gejuckt haben, darauf hat man ja keinen Einfluß. Auch ihn plagt was. Iß schön und trink danach, so schläfst du besser ein«, riet sie, während sie sich selbst eine Schale Milch warm machte.
     
    Als sie die Keksdose wieder zugemacht hatte, fragte sich Josette, wohin sie denn nun gelangen sollte. Sie zog eine Strickjacke über ihren Schlafanzug und setzte sich nachdenklich vor den ausgeschalteten Computer. Daneben lag der Laptop von Michaël, nutzloser und provozierender Schrott. Zum richtigen Ergebnis gelangen, dachte Josette, zu dem, was ihr während des Alptraums entgangen war. Die unlesbaren Blätter zeigten doch, daß ihr bei der Entschlüsselung von Michaëls Buchstaben ein Fehler unterlaufen war. Ein grober, rot durchgestrichener Fehler.
    Natürlich, schlußfolgerte sie und nahm noch einmal ihre Übersetzung des geretteten Satzes zur Hand. Es war grotesk, bei einer solchen Fülle von Details von einer Drogenlieferung auszugehen. An den Deal zu erinnern, den Stoff, das Gewicht und die Stadt, aus der er kam. Da konnte man ja gleich seinen Namen und die Adresse angeben! Michaëls auffallende Geschwätzigkeit ergab in einer Dealernachricht gar keinen Sinn. Sie hatte sich vollkommen geirrt, und ihre Klassenarbeit war mit einem Rotstift angestrichen worden.
    Josette ging die Buchstabenfolge noch einmal geduldig durch. dam rai ea aou emi ort oi eu il. Sie probierte verschiedene Wörter und verschiedene Kombinationen aus, ohne Erfolg. Diese Verschlüsselung ärgerte sie. Clémentine kam hinzu und beugte sich mit ihrer Schale über ihre

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