Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
Vom Netzwerk:
Brigade, und seine Beamten blieben erstaunt zurück, unfähig, ihre Gedanken zu ordnen und, zumindest im Augenblick, ein Urteil zu fällen.

8
     
    Den Arm in der Schlinge und vollgestopft mit Antibiotika und Schmerzmitteln, die Romain, der Gerichtsmediziner, ihn hatte schlucken lassen, war Adamsberg nach Hause zurückgekehrt. Die Wunde hatte mit sechs Stichen genäht werden müssen.
    Wegen der örtlichen Betäubung noch immer ohne Gefühl im linken Arm, öffnete er ungeschickt den Wandschrank in seinem Schlafzimmer. Er rief Danglard zu Hilfe, um einen Archivkarton herauszuziehen, der ganz unten neben alten Schuhen stand. Danglard stellte den Karton auf ein niedriges Tischchen, und die Männer ließen sich zu seinen beiden Seiten nieder.
    »Schütten Sie ihn aus, Danglard. Pardon, aber ich kann es leider nicht.«
    »Warum, um Himmels willen, haben Sie die Flasche zerschlagen?«
    »Verteidigen Sie den Kerl etwa?«
    »Favre ist ein Stück Scheiße. Aber mit dieser Flasche haben Sie ihn zur Gewalt getrieben. Er ist der Typ. Und Sie normalerweise nicht.«
    »Scheint so, als würde ich im Umgang mit solchen Leuten meine Gewohnheiten ändern.«
    »Warum haben Sie ihn nicht einfach beurlaubt, so wie beim letztenmal?«
    Adamsberg winkte resigniert ab.
    »Streß?« fragte Danglard vorsichtig. »Wegen Neptun?«
    »Vielleicht.«
    Inzwischen hatte Danglard acht beschriftete Akten aus dem Karton genommen und auf dem Tisch verteilt, jede trug einen Titel, Dreizack Nr. 1, Dreizack Nr. 2 und so folgend bis zur Nummer acht.
    »Wir müssen noch mal über diese Flasche reden, die in Ihrer Tasche war. Das geht etwas zu weit.«
    »Und es geht Sie nichts an«, sagte Danglard, des Kommissars eigene Worte benutzend.
    Adamsberg gab ihm recht.
    »Übrigens habe ich mir etwas geschworen«, fügte Danglard hinzu.
    Wobei er die Bommel auf seiner Mütze berührte, was er jedoch lieber nicht näher erklären wollte.
    »Wenn ich lebend aus Quebec zurückkomme, trinke ich nur noch ein Glas auf einmal.«
    »Sie werden zurückkommen, weil ich den Faden halte. Sie können also gleich mit Ihrem Vorhaben beginnen.«
    Danglard willigte matt ein. In der gewalttätigen Atmosphäre der letzten Stunden hatte er vergessen, daß Adamsberg das Flugzeug halten würde. In diesem Augenblick aber hatte er mehr Vertrauen in seine Bommel als in seinen Kommissar, und flüchtig fragte er sich, ob eine gestutzte Bommel noch dieselben Schutzkräfte besaß wie eine vollständige Bommel. Die Frage nach der Potenz des Eunuchen.
    »Ich werde Ihnen die Geschichte erzählen, Danglard. Passen Sie auf, sie ist lang, sie hat vierzehn Jahre gedauert. Sie hat begonnen, als ich zehn war, sie ist explodiert, als ich achtzehn war, und sie hat hell gelodert, bis ich zweiunddreißig war. Aber vergessen Sie nicht, Danglard, daß die Leute immer einschlafen, wenn ich erzähle.«
    »Das dürfte heute kaum passieren«, meinte Danglard und stand auf. »Sie haben nicht zufällig irgendwo ein kleines Getränk? Die Ereignisse haben mich doch sehr mitgenommen.«
    »Es ist Wacholderschnaps da, hinter dem Olivenöl im oberen Küchenschrank.«
    Zufrieden kehrte Danglard mit einem Glas und der schweren Tonflasche zurück. Er schenkte sich ein und räumte die Flasche wieder weg.
    »Ich beginne«, sagte er. »Immer nur ein Glas auf einmal.«
    »Dafür ist es aber Vierundvierzigprozentiger.«
    »Was zählt, ist die Absicht, die Geste.«
    »Dann ist es natürlich was anderes.«
    »Natürlich. In was mischen Sie sich eigentlich ein?«
    »In Dinge, die mich nichts angehen, genau wie Sie. Selbst wenn die Vorfälle längst erledigt sind, bleiben doch immer Spuren von ihnen zurück.«
    »Das stimmt«, sagte Danglard.
     
    Adamsberg ließ seinen Stellvertreter ein paar Schlucke nehmen.
    »In meinem Dorf in den Pyrenäen«, begann er, »gab es einen alten Typen, den wir Kinder nur den ›Allmächtigen‹ nannten. Die Großen nannten ihn bei seinem Titel und dem Namen: Richter Fulgence. Er wohnte allein im Herrenhaus, einem großen, weit abgelegenen Kasten, der von Bäumen und Mauern umgeben war. Er hatte mit niemandem Kontakt, sprach mit niemandem, er haßte Kinder und jagte uns eine Höllenangst ein. Wir taten uns zusammen und belauerten abends seinen Schatten, wenn er in den Wald hinausging, um seine Hunde, zwei große Beaucerons, pissen zu lassen. Was soll ich Ihnen noch sagen, Danglard, mit den Augen eines Zehn- oder Zwölfjährigen gesehen? Er war alt, sehr groß und hatte glattes weißes Haar, das er nach

Weitere Kostenlose Bücher