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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Ende von einem langen Gedicht, Booz endormi 1 . Aber sagen Sie mir noch eins. Funktioniert das bei Fröschen genauso? Ich meine rauchen, paff, paff, paff, und Explosion? Oder nur bei Kröten?«
    Adamsberg sah ihn müde an.
    »Tut mir leid«, sagte Danglard und nahm einen Schluck.
    »Ich sagte diese Zeilen also vor mich hin, und sie gefielen mir sehr. Ich hatte gerade mein erstes Jahr als Berufsanfänger im Kriminaldienst hinter mir, ich war Polizeiwachtmeister in Tarbes und für zwei Wochen auf Urlaub im Dorf. Es war August, nachts wurde es schon kühl, und ich ging nach Hause zurück. Ich wusch mich leise – wir wohnten zu neunt in zweieinhalb Zimmern –, als Raphaël wie von Sinnen und mit blutverschmierten Händen auftauchte.«
    »Raphaël?«
    »Mein jüngerer Bruder. Er war sechzehn.«
    Danglard stellte verblüfft sein Glas ab.
    »Ihr Bruder? Ich dachte, Sie hätten nur fünf Schwestern.«
    »Ich hatte einen Bruder, Danglard. Er war fast wie ein Zwilling für mich, wir waren ein Herz und eine Seele. Es sind jetzt beinahe dreißig Jahre her, daß ich ihn verloren habe.«
    Erstaunt und ehrfürchtig schwieg Danglard.
    »Abends traf er sich dort oben auf dem Wasserturm immer mit einem Mädchen. Kein kleines Techtelmechtel, sondern Liebe auf den ersten Blick. Das junge Mädchen, 1 Der schlafende Boas.
    Lise, wollte ihn heiraten, sobald sie volljährig wäre. Was bei meiner Mutter einen furchtbaren Schrecken und große Wut bei Lises Familie auslöste, die dagegen war, daß ihre Jüngste sich mit einem Landarsch wie Raphaël einließ. Sie war die Tochter vom Bürgermeister, Sie verstehen.«
    Adamsberg verstummte einen Augenblick, bevor er weiterreden konnte.
    »Raphaël packte mich am Arm und sagte: ›Sie ist tot, Jean-Baptiste, sie ist tot, sie wurde umgebracht!‹ Ich habe ihm die Hand auf den Mund gelegt, habe ihm die Hände gewaschen und ihn nach draußen gezogen. Er weinte. Wieder und wieder habe ich ihn gefragt. ›Was ist passiert, Raphaël? Rede, in Herrgottsnamen.‹ ›Ich weiß es nicht‹, hat er geantwortet. ›Ich hab da gekniet, am Wasserturm, voller Blut und mit einem Stecheisen, und sie, Jean-Baptiste, sie war tot, mit drei Löchern im Bauch.‹ Ich habe ihn angefleht, nicht zu schreien, nicht zu weinen, ich wollte nicht, daß die Familie uns hört. Ich habe ihn gefragt, woher er das Stecheisen hätte, ob es ihm gehörte. ›Ich hab keine Ahnung, es lag einfach in meiner Hand.‹
    ›Und vorher, Raphaël, was hast du vorher gemacht?‹
    ›Daran erinnere ich mich nicht, Jean-Baptiste, ich schwöre es dir. Ich hatte ziemlich viel getrunken mit den Jungs.‹
    ›Warum?‹
    ›Weil sie schwanger war. Ich war völlig durcheinander. Ich hab ihr nie was Schlechtes gewünscht.‹
    ›Aber davor, Raphaël? Zwischen den Jungs und dem Wasserturm?‹
    ›Ich bin wie gewohnt durch den Wald gelaufen, um zu ihr zu kommen. Weil ich Angst hatte oder weil ich besoffen war, bin ich gerannt, dabei hab ich mich an dem Schild gestoßen und bin gestürzt.‹
    ›An was für einem Schild?‹
    ›Dem von Emeriac, das seit dem Unwetter schief hängt. Dann war da der Wasserturm. Drei rote Löcher, Jean-Baptiste, und ich, ich hielt das Stecheisen in der Hand.‹
    ›Aber dazwischen, erinnerst du dich an gar nichts?‹
    ›An nichts, Jean-Baptiste, an nichts. Vielleicht hat mich dieser Schlag am Kopf verrückt gemacht, vielleicht bin ich wirklich verrückt, oder vielleicht bin ich ein Ungeheuer. Ich kann mich nicht erinnern, wann … wann ich auf sie eingestochen habe.‹
    Ich fragte, wo das Stecheisen sei. Er hatte es dort oben neben Lise liegenlassen. Ich sah in den Himmel und sagte, Glück gehabt, es wird Regen geben. Dann habe ich Raphaël angewiesen, sich gründlich zu waschen, sich ins Bett zu legen und, falls irgend jemand vorbeikäme, zu behaupten, wir hätten seit Viertel elf im kleinen Hof Karten gespielt. Seit Viertel elf haben wir Ekarté gespielt, ist das klar, Raphaël? Fünfmal hatte er gewonnen und viermal ich.«
    »Falsches Alibi«, bemerkte Danglard.
    »Exakt, und Sie sind der einzige, der davon weiß. Dann bin ich hinaufgerannt, und Lise lag genau so da, wie Raphaël es beschrieben hatte, getötet durch drei Einstiche in den Bauch. Ich hab das Stecheisen aufgehoben, es war bis zum Schaft mit Blut beschmiert, der Griff bedeckt mit Fingerspuren. Ich hab es gegen mein Hemd gedrückt, um den Abdruck und die Länge zu haben, dann hab ich’s in meine Jacke gesteckt. Ein kurzer Regenschauer kam, der die Fußspuren

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