Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
Vom Netzwerk:
Sein Arm reichte so weit, daß er mit einer Handbewegung durchs ganze Land streichen und die Justiz zum Schlottern bringen konnte, wo immer ihm danach zumute war.«
    »Aber wie bringt man die Kröte dazu, daß sie raucht?«
    »Sagen Sie mal, Danglard, hören Sie mir überhaupt zu? Ich erzähle Ihnen eine Geschichte von einem teuflischen Kerl, und Sie kommen dauernd auf diese verfluchte Kröte zurück.«
    »Selbstverständlich höre ich zu, trotzdem, wie bringt man die Kröte dazu, daß sie raucht?«
    »Es war eben so. Kaum hatte man ihr eine brennende Zigarette ins Maul gesteckt, fing die Kröte an zu inhalieren. Nicht wie ein Kerl, der ruhig an der Bar lehnt, nein. Wie eine Kröte eben, die wie irre anfängt zu pumpen und nicht mehr aufhört. Paff, paff, paff. Und plötzlich explodierte sie.«
    Adamsberg beschrieb mit seinem rechten Arm einen weiten Bogen, um den Eingeweideschwall vorstellbar zu machen. Danglard folgte dieser Ellipse mit den Augen und nickte, als registriere er eine Tatsache von enormer Wichtigkeit. Dann entschuldigte er sich kurz.
    »Fahren Sie fort«, sagte er und trank einen Fingerbreit Wacholderschnaps. »Die Macht von Richter Fulgence. War Fulgence sein Nachname?«
    »Ja. Honoré Guillaume Fulgence.«
    »Komischer Name, Fulgence. Von fulgur, Blitz, Leuchten. Das paßte sicher ausgezeichnet zu ihm, nehme ich an.«
    »So meinte zumindest der Pfarrer, glaube ich. Bei uns zu Hause glaubte man an nichts, aber ich hockte ständig bei diesem Pfarrer rum. Zunächst einmal gab’s da Schafskäse und Honig, und das schmeckt einfach herrlich zusammen. Und dann hatte er Hunderte in Leder gebundene Bücher. Meistens religiöse natürlich, mit großen inluminierten Bildern in Rot und Gold. Diese Bilder liebte ich sehr. Ich habe etliche davon abgezeichnet. Sonst gab’s ja nichts im Dorf, was man abzeichnen konnte.«
    »Illuminiert.«
    »Wie bitte?«
    »Die religiösen Bilder: illuminiert.«
    »Ach so. Ich habe immer ›inluminiert‹ gesagt.«
    »Illuminiert.«
    »Na gut. Wenn Sie wollen.«
    »Waren alle Leute alt in Ihrem Dorf?«
    »So kommt es einem als Kind vor.«
    »Aber warum fing die Kröte an einzuatmen, sobald man ihr die Zigarette reingesteckt hatte? Paff, paff, paff, bis sie explodierte?«
    »Was weiß ich, Danglard!« sagte Adamsberg und hob die Arme.
    Diese spontane Bewegung entriß ihm einen krampfhaften Schmerz. Rasch drückte er seinen linken Arm nach unten und legte die Hand auf den Verband.
    »Es ist Zeit für Ihr Schmerzmittel«, sagte Danglard und sah auf seine Uhr. »Ich hole es Ihnen.«
    Adamsberg willigte ein und trocknete sich den Schweiß von der Stirn. Favre, dieser blöde Idiot. Danglard verschwand mit seinem Glas in der Küche, machte einen ziemlichen Lärm mit Schränken und Wasserhähnen und kam mit Wasser und zwei Tabletten zurück, die er Adamsberg gab.
    Adamsberg schluckte sie, wobei er bemerkte, daß das Wacholderschnapslevel auf magische Weise wieder angestiegen war.
    »Wo waren wir?« fragte er.
    »Bei den illuminierten Büchern des alten Pfarrers.«
    »Ja. Es gab dort auch andere Bücher, viel Dichtung, und illustrierte Bände. Ich schrieb ab, zeichnete und las immer mal darin. Noch mit achtzehn Jahren machte ich das. Eines Abends las ich und kritzelte an seinem großen Holztisch, der nach ranzigem Fett stank, als die Sache passierte. Deshalb erinnere ich mich auch an jedes einzelne Wort aus diesem Gedichtstück, es ist wie eine Kugel, die in meinem Kopf feststeckt und nie wieder herausgekommen ist. Ich hatte das Buch ins Regal zurückgestellt und war danach ins Gebirge gegangen, abends, so gegen zehn Uhr. Ich war zur Conche de Sauzec hinaufgestiegen.«
    »Aha«, unterbrach ihn Danglard.
    »Pardon. Das ist eine Anhöhe, von der man das ganze Tal überblickt. Ich saß also auf diesem Vorgebirge und sprach leise die Zeilen vor mich hin, die ich gelesen hatte und die ich wahrscheinlich schon am nächsten Tag vergessen haben würde.«
    »Lassen Sie mal hören.«
    »Quel dieu, quel moissonneur de l’éternel été, avait, en s’en allant, négligemment jeté cette faucille d’or dans le champ des étoiles. Welcher Gott nur, welcher Schnitter eines ew’gen Sommers ließ im Weggehn jene goldne Sichel fallen dort im Sternenfeld.«
    »Das ist von Victor Hugo.«
    »Ach ja? Und wer stellt sich diese Frage?«
    »Eine Frau mit entblößter Brust, Ruth.«
    »Ruth? Ich dachte immer, ich hätte mich das gefragt.«
    »Nein, Ruth. Bedenken Sie, Hugo kannte Sie ja gar nicht. Es ist das

Weitere Kostenlose Bücher