Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
Vom Netzwerk:
neben der Leiche verwischte. Das Stecheisen hab ich in die Kute der Torque geschmissen.«
    »In die was?«
    »Die Torque, ein Fluß, der sich durch den Wald schlängelte und große Senken, Kuten, bildete. Ich habe das Stecheisen bei sechs Metern Tiefe hineingeworfen und noch ein paar Dutzend Steine hinterhergeschmissen. Keine Chance, daß es so bald wieder hochkommen würde.«
    »Falsches Alibi und Unterschlagung von Beweismitteln.«
    »Genau. Und ich habe es nie bereut. Keinerlei Gewissensbisse. Ich liebte meinen Bruder mehr als mich selbst. Glauben Sie, ich hätte zugelassen, daß man ihn schnappt?«
    »Das geht nur Sie etwas an.«
    »Was mich auch etwas anging, war Richter Fulgence. Denn während ich auf der Conche de Sauzec saß, von wo aus ich den Wald und das Tal überblickte, habe ich ihn vorbeigehen sehen. Ihn. Ich habe mich erst nachts daran erinnert, als ich die Hand meines Bruders hielt, damit er einschlief.«
    »So weit konnte man von dort oben gucken?«
    »Ein Teil des Kieselwegs war gut zu erkennen. Dunkle Gestalten hoben sich von ihm ab.«
    »Die Hunde? Haben Sie ihn daran erkannt?«
    »Nein, an seinem Sommerumhang. Sein Oberkörper hob sich als Dreieck ab. Alle Männer im Dorf wirkten im Umriß wie Klumpen, ob dick oder dünn, und alle waren sehr viel kleiner als er. Es war der Richter, Danglard, auf dem Weg hinauf zum Wasserturm.«
    »Raphaël war auch da draußen. Und seine betrunkenen Freunde. Und Sie auch.«
    »Ist mir egal. Am nächsten Tag bin ich über die Mauer des Herrenhauses und habe ein bißchen in den Gebäuden herumgeschnüffelt. In der Scheune lag zwischen Schaufeln und Spaten eine dreizinkige Forke. Ein Dreizack, Danglard.«
    Adamsberg hob seine gesunde Hand und streckte drei Finger aus.
    »Drei Zinken, drei nebeneinanderliegende Löcher. Nun schauen Sie sich das Foto von Lises Leiche an«, fügte er hinzu und zog es aus der Akte. »Schauen Sie sich die einwandfrei gerade Linie der Wunden an. Wie hätte mein Bruder, besoffen und in Panik, dreimal mit seinem Stecheisen zustoßen können, ohne auch nur einmal abzuweichen?«
    Danglard betrachtete die Aufnahme aufmerksam. Die Wunden lagen tatsächlich auf einer absolut geraden Linie nebeneinander. Jetzt verstand er, warum Adamsberg auf dem Foto von Schiltigheim diese Messungen vorgenommen hatte.
    »Sie waren damals erst Anfänger im Kriminaldienst, ein junger Stift. Wie sind Sie an dieses Foto herangekommen?«
    »Ich hab’s geklaut«, sagte Adamsberg ruhig. »Dieser Dreizack, Danglard, war ein altes Werkzeug mit glattem, verziertem Stiel, an der Querstrebe rostig. Aber seine Zinken glänzten, sie waren geputzt, ohne eine Spur von Erde, ohne einen Rest von Schmutz. Gesäubert, unberührt, rein wie die Morgenröte. Was sagen Sie dazu?«
    »Daß es unangenehm ist, aber kein belastender Beweis.«
    »Daß es klar ist wie das Wasser der Kute. Als ich das Werkzeug sah, ist mir die Gewißheit regelrecht ins Gesicht gespritzt.«
    »Wie die Kröte.«
    »Ungefähr. Ein Schwall von Bosheit und Schweinereien, eben die Eingeweide des Allmächtigen. Und just in dem Moment stand er im Tor seiner Scheune und hielt seine beiden Höllenhunde an der Leine, die Jeannot gefressen hatten. Er beobachtete mich. Und wenn Richter Fulgence einen beobachtete, Danglard, selbst wenn man achtzehn Jahre alt war, bekam man Schiß. Er fragte mich, was ich bei ihm zu suchen hätte, mit dieser kalten Wut in der Stimme, die so typisch für ihn war. Ich antwortete, daß ich ihm einen bösen Streich spielen und die Muttern von seiner Werkbank abschrauben wollte. Das hatte ich in all den Jahren so oft bei ihm gemacht, daß er mir glaubte, und mit einer majestätischen Geste deutete er auf den Ausgang und sagte nur: ›Ich gebe dir einen Vorsprung, junger Mann. Ich zähle bis vier.‹ Wie ein Irrer bin ich auf die Mauer zugerannt. Ich wußte, bei ›vier‹ ließ er seine Hunde los. Einer der Beaucerons hat mir das Hosenbein zerfetzt, aber ich konnte mich losmachen und schaffte es über die Mauer.«
    Adamsberg krempelte seine Hose hoch und legte den Finger auf eine lange Narbe am Bein.
    »Er ist immer noch da, der Biß von Richter Fulgence.«
    »Der Biß vom Hund«, berichtigte Danglard.
    »Ist dasselbe.«
    Adamsberg stahl Danglard einen Schluck von seinem Wacholderschnaps.
    »Bei der Verhandlung wurde die Tatsache, daß ich Fulgence im Wald gesehen hatte, nicht berücksichtigt. Ich galt als befangen. Vor allem aber haben sie den Dreizack nicht als Beweisstück herangezogen. Und

Weitere Kostenlose Bücher