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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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geprallt. Dann sein Erwachen, am Ende des Weges, und höchstens zwanzig Minuten, um zum Wohnblock zu gelangen. Das bedeutete, er war um halb zwei Uhr morgens wieder zu sich gekommen. Demnach waren zweieinhalb Stunden vergangen zwischen dem Ast und seinem Erwachen am Waldrand nebst ungeheurem Brechreiz. Verdammt, zweieinhalb Stunden für eine Strecke, die er sonst in einer halben Stunde ablief.
    Was konnte er nur in diesen zweieinhalb Stunden gemacht haben? Keinerlei Erinnerung. War er die ganze Zeit über ohnmächtig gewesen? Bei minus zwölf Grad? Er wäre doch auf der Stelle erfroren. Er mußte zwangsläufig umhergelaufen sein, mußte sich bewegt haben. Es sei denn, er war den ganzen Weg über unablässig gestürzt, mit ständigen Unterbrechungen vorwärts gekommen und dabei immer mal wieder total weggetreten.
    Der Alkohol, die Mischung. Er hatte Typen gekannt, die eine ganze Nacht lang rumgegrölt hatten, ohne sich im geringsten daran zu erinnern. Kerle in der Ausnüchterungszelle, die sich nach ihren Handlungen vom Vortag erkundigten, wo sie ihre Frau geschlagen und den Hund aus dem Fenster geschmissen hatten. Zwei- oder dreistündige Aussetzer, bevor der Schlaf sie niederstreckte. Taten, Worte und Gesten im Überfluß, die sich in ihr alkoholverschleimtes Gedächtnis nicht eingegraben hatten. Als wenn diese Imprägnierung jedes Einschreiben von Erinnerungen verhinderte, so wie Füllertinte auf durchgeweichtem Papier verschliert.
    Was hatte er getrunken? Drei Whiskey, vier Gläser Wein, Cognac. Und wenn der Barkeeper, der gewiß ein Profi war, es für notwendig erachtet hatte, ihn rauszuschmeißen, dann sicher deshalb, weil es ausgezeichnete Gründe dafür gab. Barkeeper sind Typen, die den Alkoholpegel mit derselben Sicherheit bei einem abschätzen können wie die Detektoren der GRC. Er hatte seinen Gast die rote Linie überschreiten sehen und hätte ihm selbst für ein paar Piaster mehr kein weiteres Glas eingeschenkt. So sind diese Typen. Sie erscheinen einem wie Händler, sind aber in Wirklichkeit Chemiker, menschenfreundliche Wachposten und Retter auf hoher See. Außerdem hatte er ihm auch noch die Mütze aufgesetzt, daran erinnerte er sich gut.
    Das war alles, was man darüber sagen konnte, schloß Adamsberg und ging zu seinem Appartement zurück. Kolossales Besäufnis und heftiger Schlag gegen die Stirn. Vollgesoffen und niedergestreckt. Er hatte zweieinhalb Stunden für diesen verfluchten Pfad gebraucht, zwischen Vorwärtskommen und Zusammenbrechen. Und war so betrunken gewesen, daß sein aufgeweichtes Gedächtnis sich geweigert hatte, auch nur das geringste zu notieren. Er war in diese Bar gegangen, um das berühmte Vergessen zu finden, das am Grunde der Gläser hockte. Na schön, er hatte sein Ziel erreicht und war weit darüber hinausgeschossen.
     
    Wieder heimgekehrt, fühlte er sich schon kräftig genug, um seine Sachen zu packen und das weiße Appartement in Ordnung zu bringen. Ordnung hätte er auch gern in Paris vorgefunden. Er hatte sie satt, diese Turbulenzen, diese düsteren Kumuluswolken, die sich gegenseitig stießen wie aufgeblähte Kröten, den Blitz natürlich nicht zu vergessen. Die Wolken mußten aufgelöst, in kleine Fetzen zerschnitten und jedes dieser Fetzchen in die Wabenzelle einer Mikropalette gesetzt werden. Anstatt alles durcheinander in eine große Tasche zu schmeißen, die kein Mensch tragen konnte. Er würde die Klippen so behandeln, wie er es hier gelernt hatte, er würde die Wolken Probe für Probe schaufeln, und der Länge nach geordnet. Wenn er in der Lage dazu war. Er dachte an die nächste Klippe, die in Sicht kam: Noëlla morgen auf dem Flughafen, bereit für den Flug um zwanzig Uhr zehn.

28
    Von seinem Schmerz im Schädel befreit, traf Adamsberg am Morgen pünktlich in der GRC ein, parkte seinen Wagen unter demselben Ahornbaum, grüßte das Eichhörnchen und fand in diesen Wiederbegegnungen mit seinen kurzzeitigen Quebecer Gewohnheiten einen reinigenden Trost. Alle Kollegen erkundigten sich nach seinem Befinden, ohne daß irgend jemand eine ironische Bemerkung über sein Besäufnis fallenließ. Herzlichkeit und Diskretion. Ginette beglückwünschte ihn zum Rückgang der Schwellung auf der Stirn und trug noch einmal ihre klebrige Salbe auf. Eine solche Diskretion, stellte er mit Erstaunen fest, daß Laliberté es nicht einmal für notwendig erachtet hatte, die französische Mannschaft über den Vorfall in der Schleuse zu informieren. Der Surintendant hatte es bei der

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